Verletzlichkeit und die Macht daraus

Verletzlichkeit
Die Macht der Verletzlichkeit

Verletzlichkeit ist etwas, worum wir einen großen Bogen machen. Es scheint unangenehm zu sein. Im Kern ist Verletzlichkeit mit Angst, Scham und unserem Selbstwertgefühl verbunden.

Brené Brown forscht seit vielen Jahren über Verletzlichkeit und hat vieles ihrer Forschung veröffentlicht (The Power of Vulnerability). Ihren Einstieg dazu waren Untersuchungen zu „Connection“, also dazu, wie sich Menschen verbinden, wie sie in Beziehung zu anderen sind. Dieses Verbundensein nennt sie den Grund, warum wir überhaupt hier sind.

Scham – Angst vom Getrenntsein

Sehr schnell fand sie heraus, dass es etwas gibt, was diesem Verbundensein, diesem in Beziehung zu anderen sein, entgegensteht. Sie erkannte die Scham als Gegenspieler des Verbundenseins. Gibt es etwas an mir, was dazu führt, dass ich diese Beziehung zu anderen nicht wert bin, falls diese es wissen oder sehen? Scham als Angst vom Getrenntsein.

Die Meinung über sich selbst – „Ich bin nicht gut genug!“ –, das eigene Selbstwertgefühl ist der Auslöser dieser Angst. Ich bin nicht intelligent genug, schön genug, erfolgreich genug, wohlhabend genug, attraktiv genug, … und alle anderen Abwandlungen von „Ich bin nicht gut genug“.

Daraus resultiert Verletzlichkeit. Verbundensein kann nur entstehen, wenn wir wirklich zulassen, gesehen zu werden.

Selbstwertgefühl macht den Unterschied

Das Selbstwertgefühl scheint Brené Brown entscheidend zu sein. Menschen mit einem starken Selbstwertgefühl, Menschen, die es sich wert sind, haben sehr viel stärkeres Gefühl von Liebe und Zugehörigkeit. Anders als Menschen, die sich immer fragen, ob sie denn gut genug sein.

Mut, Mitgefühl, Verbundensein

Sie suchte nach Gemeinsamkeiten bei der Gruppe von Menschen, die ein gutes Selbstwertgefühl hatten. Und fand zwei davon.

Die eine Gemeinsamkeit ist der Mut. Das englische Wort für Mut – Courage – leitet sich aus dem lateinischen „cor“ ab, was soviel wie „Herz“ bedeutet. Wer mutig ist, beherzt, Herz hat, erzählt die eigene Geschichte, also wirklich von sich selbst, wer er ist.

Diese Menschen haben schlichtweg den Mut, unvollkommen zu sein. Sie haben das Selbst-Mitgefühl zuerst gut mit sich selbst umzugehen, um dann Mitgefühl mit anderen aufrichtig zeigen zu können. Als folge ihres Mutes sind diese Menschen authentisch. Sie können davon loslassen, wer sie denken sein zu müssen. Und können dann sein, wer sie sind. Eine wichtige Voraussetzung für ein wahrhaftes Verbundensein mit anderen.

Neben Mut war das uneingeschränkte annehmen der eigenen Verletzlichkeit die andere Gemeinsamkeit. Menschen, die sich ihrer Verletzlichkeit bewusst sind, lehnen diese nicht ab sondern glauben sogar, dass es das Schöne an ihnen ausmacht. Sie reden über Verletzlichkeit weder als etwas Angenehmes, noch als etwas Qualvolles. Anders als dies bei Scham ist.

Sie sind viel eher bereit etwas zu tun, bei dem es keine Garantien gibt. Können nach einer Untersuchung beim Arzt eher Durchatmen, während sie auf das Ergebnis warten. Sind bereit in eine Beziehung zu investieren, die vielleicht nicht funktionieren wird.

Umgang mit Verletzlichkeit

Wir erkennen diese Verletzlichkeit jedoch oft nicht an. Wir betäuben sie lieber, machen uns taub dafür. Dem „ich bin nicht gut genug“ folgt dann vielleicht sogar der Griff zu Ablenkungen aller Art, Sahnetorte, Alkohol oder Medikamenten.

Emotionen lassen sich allerdings nicht selektiv aus dem „Nicht-fühlen-wollen“ entfernen. Es funktioniert nicht, diese schwierigen Gefühle von Verletzlichkeit, Trauer, Scham, Ablehnung, Enttäuschung oder Angst mit dem nächsten Bier oder der Sahnetorte zu betäuben.

Diese schwierigen Gefühle lassen sich nicht betäuben, ohne die anderen Gefühle wie Freude, Dankbarkeit, Glücklichsein ebenfalls taub zu machen. Dann fühlen wir uns elend, suchen nach Sinn und Bedeutung im Leben. Und fühlen uns wiederum verletzlich. Ein Teufelskreis. Wir trinken dann das nächste Bier und essen das nächste Stück Sahnetorte.

Je ängstlicher wir sind, desto verletzlicher sind wir und desto ängstlicher macht uns das.

Ich bin genug. So wie ich bin, bin ich ok

Es gibt allerdings eine Alternative. Sich zeigen, wie man ist und zulassen, gesehen zu werden. Tiefgehend gesehen. Mit der ganzen Verletzlichkeit. Zu handeln – auch zu lieben – selbst wenn es keine Garantien gibt. Das ist bestimmt keine leichte Aufgabe.

Fähig zu sein innezuhalten, anstatt alles schwarzzumalen, und zu sagen: „Ich bin einfach dankbar, weil sich so verletzlich zu fühlen bedeutet, dass ich im Leben stehe.“ Und am wichtigsten sich bewusst zu sein: „Ich bin genug. So wie ich bin, bin ich ok.“ Denn wenn wir von dem Punkt ausgehen, dann hören wir auf zu klagen und beginnen zuzuhören, sind wir liebevoller und freundlicher zu den Menschen um uns herum. Und auch liebevoller und freundlicher zu uns selbst. Dann entsteht aus Verletzlichkeit auch Freude, Kreativität, Zugehörigkeit, Verbundensein.

Der Mut zu mehr Verletzlichkeit kann in 5 Empfehlungen zusammengefasst werden.

1.Verschließe deine Emotionen nicht in Schubladen. Werde dir deiner selbst bewusst

Den meisten von uns wurde beigebracht, unsere Emotionen zu verstecken oder vor ihnen wegzulaufen. Das verursacht jedoch nichts als ständigen Schmerz und Stress. Die Folgen sind weitreichend und je länger wir diese Emotionen unter Verschluss halten, desto schlimmer wird die Situation.

Stattdessen sagt Bené Brown, dass wir uns unserer selbst bewusster werden und unsere Emotionen erforschen müssen. Indem wir Fragen stellen, um in Kontakt mit dem zu kommen, was wir in einem bestimmten Moment fühlen und denken.

Dazu gibt es unterschiedliche Methoden, wie z.B. Schreiben, Meditation oder ein Gespräch mit einem Freund, um diese Gefühle zu verstehen und zu verarbeiten.

2. Verletzlichkeit erfordert Mut

Stärke zeigen, das ist cool. Doch wie Brown in ihren Studien zeigt, ist Verletzlichkeit alles andere als Schwäche. Tatsächlich erfordert es wahre Stärke und Mut, sich selbst zu erlauben, verletzlich zu sein.

Die Fähigkeiten, die mit Verletzlichkeit verbunden sind, überwiegend die Schwierigkeiten bei weitem. Indem wir den Mut haben, verletzlich zu sein und uns selbst und der Welt um uns herum zu öffnen, kommen wir direkt in Kontakt mit unserem authentischsten Selbst. Auf diese Weise können wir ein viel erfüllteres und glücklicheres Leben führen.

3. Sich zeigen, sich der Angst stellen und vorwärts gehen

Bei allem, was wir tun, werden Angst und Kritik immer auch da sein. Angst ist die große einschränkende Kraft, da sie die meisten Menschen davon abhält, jemals mehr als einen Fuß außerhalb ihrer Komfortzone zu setzen, um ihre wahren Wünsche und Potenziale zu verwirklichen.

Da Angst und Kritik in irgendeiner Form immer da sein werden, ist die beste Vorgehensweise, sich trotzdem zu zeigen und vorwärtszugehen. Egal, was du tust, zeige dich jeden Tag, um das zu tun, wozu du da bist. Lasse dich von diesen Hindernissen nicht aufhalten.

Je mehr du dich diesen negativen Kräften entgegenstellst, desto mehr wirst du deinen Mut und deine Resilienz unter Beweis stellen und stärker daraus hervorgehen.

4. Strebe nach Exzellenz, nicht nach Perfektion

Perfektionismus ist „die Überzeugung, dass wir, wenn wir perfekt leben, perfekt aussehen und perfekt handeln, den Schmerz von Tadel, Urteil und Scham vermeiden können“, so Brené Brown.

Bei Perfektionismus geht es nicht um Wachstum, Verbesserung oder persönliche Leistung. Es geht um Angst und Vermeidung. Worauf du dich anstatt also wirklich konzentrieren solltest, ist die Verwirklichung von Exzellenz. Entwickle die beste Version von dir selbst trotz deiner Einschränkungen oder „Fehler“. Diese Perspektive ist gesund und umfassend und führt zu echtem persönlichem Wachstum im Gegensatz zu einem fehlerhaften Perfektionismus.

5. Traue dich, du selbst zu sein

Die letzte und vielleicht wichtigste Empfehlung von allen ist: Wage es, du selbst zu sein, ganz gleich, was das mit sich bringt.

Die Kräfte der Angst, der Unsicherheit und des Zweifels werden nie verschwinden. Egal wie sehr du versuchst, sie zu vermeiden, sich vor ihnen zu verstecken oder sie zu begraben. Stellen dich ihnen stattdessen mit Mut und Vertrauen in dein authentisches Selbst. Vertraue darauf, dass alle Fähigkeiten da sein werden, um das zu überwinden, was vor dir liegt.

Trauen dich, ganz du selbst zu sein Mit all deinen Stärken, Fähigkeiten und Besonderheiten, aber auch mit deinen Schwächen und Unsicherheiten.

Keine leichten – aber einleuchtende und ermutigende – Empfehlungen, die uns Brené Brown mit auf den Weg gibt.

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