Die Zeitumstellung von Winterzeit (Standardzeit) auf Sommerzeit fand heute Morgen statt. Wer muss da nicht überlegen, ob die Uhr vor- oder zurückgestellt wird? Und wie irreführend ist doch der Begriff der Zeitumstellung. Verändern wir tatsächlich die Zeit, wenn wir die Uhr verstellen? Was ist das überhaupt: Zeit?
Zeitumstellung schenkt uns mehr Licht am Abend
Die Zeitumstellung von Winter- auf Sommerzeit ist das Vordrehen der Uhrzeit von 2 Uhr auf 3 Uhr in der Nacht. Wenn wir also jeden Tag – oder jeden Sonntag – zur gleichen Uhrzeit aufwachen, sagen wir um 8 Uhr, dann zeigt die Uhr (nach der Umstellung) bereits 9 Uhr. Eine Stunde „fehlt“. Dafür verknüpfen wir dann am Abend das wohlige Gefühl, dass wir noch eine Stunde länger Licht haben, den Abend länger aktiv geniesen können.
Zeitumstellung als Illusion
Das alles gründet natürlich auf einer Illusion. Durch das Umstellen der Uhrzeit verändern wir die Zeit keinesfalls. Wir verändern lediglich unseren Blick auf unseren Versuch, die Zeit mittels Uhren fassen zu können. Dem Lauf der Erde um die Sonne dürfte dieser Versuch ziemlich egal sein. Unser Planet dreht sich um sich selbst und um die Sonne, ganz gleich welche hirnakrobatischen Versuche wir unternehmen, Zeit zu verändern.
Wenn wir damit allerdings eine angenehmere, ausgefülltere, gut genutzte Zeit am Abend mit mehr Helligkeit erreichen, dann ist das ja ein wundervolles Instrument für mehr Wohlbefinden und Selbstwirksamkeit. Also einfach die Uhrzeit eine Stunde vorstellen und alles das tun, was wir meinen, ohne diese Zeitveränderungsillusion nicht tun zu können. Einfach, oder?
Gut, das hat einen Preis. Wir wählen damit unsere ganz eigene Zeit und scheren aus der Zeit-Synchronizität mit anderen aus. Ein großer Nutzen einer gemeinsamen Uhrzeit ist diese Synchronizität, die Verabredungen zu einer bestimmten Uhrzeit erst möglich macht.
Das Konzept der Zeit im Fluss
Unser Zeitbegriff war und ist nicht statisch. Er verändert sich ständig. Das, was früher in einem Tag erreicht werden konnte – eine Tagesreise oder ein Tagwerk – unterscheidet sich heute so von dem, was wir vor 70 Jahren oder gar vor 200 Jahren darunter verstanden haben.
Auch in der Physik veränderte sich der Blick auf Zeit fundamental. Im Newton’schen Physikweltbild war Zeit eine Konstante. Sie verlief immer gleich. Einer Sekunde folgte die nächste und die Abstände waren konstant. Einstein verwarf dieses Konzept der Zeit. Seit der Relativitätstheorie – und deren Bestätigungen – ist Zeit keine Konstante mehr. Zeit ist abhängig von der Geschwindigkeit dessen, der die Zeit beobachtet. Und nicht nur das. Zeit ist ebenfalls abhängig von der Umgebung. Zeit vergeht schneller oder langsamer, je nachdem wieviel Masse gerade in der näheren Umgebung ist.
Gibt es Zeit überhaupt?
Eine kühne und dennoch sehr berechtigte Frage. Wenn wir von Zeit sprechen, dann meinem wir, dass es vom jetzigen Standpunkt – dem Jetzt – ein davor und ein danach gibt. Zeit ist also Gegenwart im Unterschied zu Vergangenheit und Zukunft. Diese Annahme ist für uns selbstverständlich und wir stellen diese im Alltag nicht in Frage. Aber kann man da nicht auch anders drauf schauen?
Wieder bemühe ich Albert Einstein mit einem nachdenklichen Zitat:
„Für uns gläubige Physiker hat die (Unter-)Scheidung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer, wenn auch hartnäckigen, Illusion.“
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft seien also nur Illusion und damit nicht existent? – Was bleibt denn dann? Es bleibt nur das Jetzt. Jetzt. Und immer nur Jetzt.
Einstein war nicht der erste, der unseren gewöhnlichen Zeitbegriff in Frage stellte. Der große Kirchenlehrer Augustinus dachte schon im 4. Jahrhundert anders darüber:
„Eigentlich kann man gar nicht sagen:
Es gibt drei Zeiten, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Genauer würde man vielleicht sagen müssen:
Es gibt drei Zeiten,
eine Gegenwart mit Blick auf die Gegenwart,
eine Gegenwart mit Blick auf die Vergangenheit und
eine Gegenwart mit Blick auf die Zukunft.
In unserem Geiste sind sie wohl in dieser Dreizahl vorhanden, anderswo aber nehme ich sie nicht wahr.“
Auch Augustinus geht von einem Jetzt aus. Aus diesem Jetzt konstruieren wir unsere Vergangenheit (was oder wie wir aus der Gegenwart heraus erinnern) und unsere Zukunft (was wir wiederum aus der Gegenwart heraus projezieren).
Zeit im Zen
Das ist auch die Zeitauffassung im Zen. Es gibt nur den jetzigen Augenblick. Wir sind nur im Jetzt. Alles andere ist ein Konstrukt des Geistes und ist nicht Wirklichkeit. – Schwierig das so anzunehmen, oder? Ein wenig einfacher ist es, wenn wir uns die Frage stellen: Wann kann ich selbstwirksam sein? Also, wann kann ich etwas tun, bewirken, verändern? Das ist unmöglich in der Vergangenheit. Oder konntest du schon einmal im Gestern etwas verändern? Und du kannst nur Übermorgen etwas tun, wenn Übermorgen jetzt ist. Um wirksam zu sein, bleibt uns nur das Jetzt, dieser Augenblick.
Im Jetzt sein
Wenn es nur das Jetzt gibt, warum fällt es uns dann so schwer im gegenwärtigen Moment zu sein und zu bleiben? Studien zeigen, dass wir im Durchschnitt gut die Hälfte des Tages in Gedanken und damit wahrscheinlich grüblerisch in der Vergangenheit oder planend in der Zukunft sind.
Das muss aber nicht sein. Ein Kind kann noch ganz ungezwungen im Spiel versunken sein. Vollkommen in sein Spielen vertieft und mit dem Augenblick verbunden. Wir Erwachsene gehen manchmal in einer Aufgabe, einer beruflichen oder privaten Tätigkeit ganz auf. Das nennen wir dann im Flow sein. Auch da sind wir im Moment.
In der Meditation versuchen wir bewusst in den jetzigen Moment zu kommen und dort zu bleiben. Warum? – Weil nur dort Realität, Wirklichkeit ist. Wir versuchen das, indem wir einen Trick oder einen Schlüssel dazu verwenden. Wir gehen in die Wahrnehmung. In die Wahrnehmung des Körpers oder spezifischer in die Wahrnehmung des Atems.
Wenn wir wahrnehmen, sind wir im jetzt. Nur im Jetzt können wir wahrnehmen. Den Atem können wir nicht vorgestern spüren. Oder in zwei Wochen. Nur jetzt. … Bis uns Gedanken aus der Wahrnehmung, aus dem Moment und in den Blick auf die Vergangenheit oder Zukunft führen, um mit Augustinus zu sprechen.
Zeitumstellung einmal anders
Es könnte eine gute Idee sein, heute am Tag der Zeitumstellung diese Veränderung als Impuls zu nutzen, um ganz bewusst aus den Gedanken über die Zeit, aus der Zeit an sich, herauszutreten und ganz im jetzigen Moment zu sein … Jetzt … nur Jetzt … immer wieder Jetzt …