Verbundenheit ist ein wichtiges menschliches Bedürfnis. Wir bemerken das gerade sehr, wo doch das Abstandhalten – social distancing – jetzt praktiziert werden muss. Wir bemerken, wie uns die gewohnte Art Verbundenheit zu leben fehlt und auch wie wir Verbundenheit neu, anders herstellen können.
Physischer Kontakt und Bezogenheit
Verbundenheit drückt sich einerseits im physischen Kontakt aus. Gemeinsames erleben zusammen an einem Ort. Ein Spaziergang zu zweit, ein gemeinsames Essen in der Familie, der Kinobesuch mit Freunden oder die Party. Das macht aber nur einen Teil von sich verbunden fühlen aus. Es kommt noch ein weiteres Element hinzu, eine Art Zusammengehörigkeit, ein bezogen Sein auf den anderen oder auf etwas Gemeinsames. Eine Verbundenheit in einer gemeinsamen Herkunft, Tradition, Überzeugung oder Idee.
Verbundenheit ist dabei mehr als die Beschreibung einer Situation, wo zum Beispiel Menschen zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind. Es geht einher mit einer Wahrnehmung, einem Gespür oder Gefühl dafür. Man könnte es auch als eine besondere Energie beschreiben, die Verbundenheit Ausdruck gibt.
Verbundenheit hat viele Erscheinungen
Wir kennen das, wenn wir das Gefühl haben beobachtet zu sein, uns umdrehen und dann feststellen, dass da tatsächlich jemand ist, der uns anschaut. Rational erklärbar ist das schwer.
Solche Bespiele werden immer wieder in Versuchen beschrieben. Es gibt da eine Geschichte über einen Mann, der eine vorbeigehende Person „anzapfen“, mit ihr einen Kontakt aufbauen konnte. Er konnte sie dazu bringen, sich umzudrehen, obwohl sie sechs Meter oder mehr von ihm entfernt waren! Ist so etwas möglich? Es soll so gewesen sein, dass von vierzig Leuten, die vorbeikamen, nur vier sich nicht umdrehten, als dieser Mann sie geistig „anzapfte“. Bemerkenswert, oder?
Wir finden solche Phänomene auch im Tierreich. Große Fischschwärme oder Gänse, die in Formation fliegen, müssen auf eine Art – eine nicht physische Art – verbunden sein. Anders sind die gleichzeitigen Richtungsänderungen oder das Halten der Formation nicht erklärbar.
Ich habe das Entstehen von Verbundenheit in einem 7 Tages-Sesshin erlebt. Ich saß eine Woche neben einem mir völlig unbekannten Menschen in der Meditation. Das Sesshin fand im Schweigen statt und wir wechselten kein Wort miteinander. Nach dieser Woche gingen wir in einer beiderseitig tief empfundenen Verbundenheit auseinander. Diese Verbundenheit hält bis heute an.
Das Ego ist das, was uns trennt
Wenn wir uns als Individuum betrachten, dann können wir das nur tun, in dem wir uns von anderen getrennt wahrnehmen. Individualität bedeutet also zunächst das Gegenteil von Verbundenheit. Die Ironie dabei ist, dass diese Gedanken der Individualität uns von dem wegführen, was wir zutiefst brauchen und wünschen, nämlich dem Gefühl der Zusammengehörigkeit. Die Psychologie sagt uns, dass eines der wichtigsten universellen menschlichen Bedürfnisse die Verbundenheit ist.
Unser psychologisches Selbst umgibt unser Ego mit Schranken und grenzt uns damit von anderen ab. Gleichzeitig ist es unser psychologisches Selbst, das das Bedürfnis nach Verbundenheit überhaupt erst definiert. Wie paradox!
Erdverbunden – geerded
Diese Verbindungen – Verbundenheiten – lassen sich auch auf ganz einfachen Ebenen beobachten. Ganz ohne mystifizierenden Charakter. Kinder sind bis kurz nach der Geburt physisch über die Nabelschnur mit ihrer Mutter verbunden.
Über die gemeinsame Luft, die wir alle ein- und ausatmen, sind wir miteinander in Verbindung. Es gibt ein bekanntes Rechen- und Gedankenexperiment des Physikers Enrico Fermi. Da belegt er, dass jeder von uns – eine gleichmäßige Durchmischung der Luft vorausgesetzt – in jedem unserer Atemzüge mindestens ein Luftmolekül des letzte Ausatmens von Caesar („Auch Du mein Sohn, Brutus … ahhhh“) vor 2000 Jahren, einatmet. Hättest du gedacht, dass du auf diese Weise ständig mit Caesar und diesem geschichtlichen Mord in Verbindung stehst? – Wir alle atmen die gleiche Luft. Nein. Wir atmen sogar die selbe Luft.
Diese Gedanken lassen sich noch auf anderen Ebenen fortsetzten. Über das Brot, das wir essen, nehmen wir die Mineralien auf, die das Getreide während seines Wachstums aus dem Boden aufgenommen hat. Wir bauen diese Mineralstoffe in unseren Körper ein und sind – denkt man das zu Ende – auf diese Weise sehr direkt mit der Erde verbunden. Letztendlich wird diese Verbundenheit sogar ganz vollkommen, wenn sich nach dem Tod die Mineralstoffe wieder mit der Erde verbinden.
Und ein letztes Beispiel: In uns befinden sich sehr viele Bakterien und Mikroorganismen, ohne die wir nicht leben könnten. Schätzungen ergeben, dass wir vermutlich mindestens so viele fremde Zellen in uns tragen wie eigene. Ein außerordentlich hoher Grad von Verbundenheit. Da stellt sich die Frage „Wer bin ich?“ nochmal ganz anders.
Verbunden oder doch Einheit?
Diese Gedanken oder dieses Gewahrwerden von Verbundenheit mit anderen, mit der ganzen Welt sind am Ende sehr elementar. Und doch bleiben sie auf halbem Wege stehen.
Das Verbunden-Sein setzt das Getrennt-Sein voraus. Es kann sich nur verbinden, was auseinander, unterschiedlich oder getrennt ist.
Im Zen gibt es diesen Gedanken der Einheit von allem („Oneness“), der Nicht-Dualität. In diesem Gedanken verschwindet das Getrennte, das Unterschiedliche, selbst das Verbundene. Alles ist eines.
Welle und Ozean
Der Zen-Gedanke des Einsseins kann durch verschiedene Analogien ausgedrückt werden. Eine der populärsten Analogien ist die des Ozeans und der Wellen. Die Wellen sind nicht vom Ozean getrennt und sind „eins“ mit dem Ozean.
Jede der Wellen ist anders. Einige von ihnen könnten klein sein. Einige von ihnen können groß sein. Einige sogar 30 m hoch. Aber sie sind alle Teil des Ozeans, und sie sind der Ozean. Um die letztendliche Einheit zu erkennen, auf die sich das Zen bezieht, muss man wissen, dass man selbst der Ozean ist und nicht die separate Identität der kleineren Wellen.
Der Ozean hat die reine Potentialität, sich als jede Art von Welle auszudrücken. Um der Ozean zu sein und zu wissen, dass man in der „Erfahrung des Ozeans“ ist, muss man die „Welle“ des „Ego“ loslassen und mit der Einheit des Ozeans verschmelzen. Das ist alles.
Das ist die beste Erfahrung der letztendlichen „Einheit“ im Zen, die jenseits aller mentalen Konzepte liegt, selbst jenseits der von „Ozean“ und „Wellen“.