Zwischenraum

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Zwischenraum

Jetzt, unmittelbar vor Weihnachten und Silvester, laufen wir auf einen Zwischenraum zu. Der Zwischenraum zwischen dem hinter uns liegenden Jahr und dem nächsten Jahr vor uns. „Zwischen den Jahren“ nennen viele Menschen diesen Zwischenraum. So als ob er weder zu dem einen, noch zu dem anderen Jahr dazugehört.

Was macht diesen Zwischenraum aus?

Die meisten Menschen laufen auf Hochtouren auf die Weinachtstage zu. Vieles soll noch erledigt werden. Sei es, weil es buchhalterisch noch zum Ergebnis des laufenden Jahres beitragen soll. Oder weil man ein Projekt abschließen will und sich nicht im kommenden Jahr wieder damit beschäftigen möchte. Oder aber man hat Dinge lange vor sich hergeschoben und möchte jetzt endlich einen Haken daran machen.

Natürlich spielen auch die Vorbereitungen für die Weihnachtsfeiertage eine Rolle. Es gibt vieles vorzubereiten, zu organisieren. Einkäufe für die Zutatenliste des Weihnachtsessens, Geschenke, Termine abstimmen und vieles mehr. Alles läuft auf den 24. Dezember zu, mit viel Geschäftigkeit.

Dann fährt das Leben im Außen abrupt herunter. Keine Geschäfte haben geöffnet. Viele Unternehmen schließen sogar bis Anfang Januar oder haben nur eine ganz geringe Besetzung. Die Welt der Anforderungen von außen kommt fast zum Stillstand. Das Private, die Familie rückt in den Fokus. Menschen in Familien begegnen sich und können bemerken, was ihnen an Begegnung in diesem vertrauten, privaten Kreis gefehlt hat … oder auch zu viel war.

Nach den Feiertagen rückt dann der Jahreswechsel näher. Es ist die dunkelste Zeit im Jahr. Kurze Tage und lange Nächte. Es entsteht ein Raum für Anhalten, frei von vielen Verpflichtungen, ohne großen Stress, Zeit für eigene Gedanken, die aufsteigen und uns in dieser Zeit begleiten können. Das lässt uns diesen Zwischenraum zwischen dem Alten und dem Bevorstehenden bewusst werden.

Auch mit vielen Fragen. War das gut? Was will ich anders im Leben? Wie geht es mir im Leben? Was wünsche ich mir, was sich ändern soll? Wie könnte ich dem auf die Sprünge helfen?

Wieso gerade zwischen den Jahren?

Wieso kommen wir in dieser Zeit in die Beschäftigung mit uns selbst? Warum empfinden wir diese Zeit zwischen den Jahren so intensiv? Obwohl ja gerade gar nichts passiert. – Oder weil gerade gar nichts passiert?

In unserer Kultur bewerten wir das, was ist, sehr hoch. Das können die beschriebenen beruflichen und privaten Anforderungen sein, die unseren Alltag füllen und bestimmen. Das, was nicht ist, hat kaum Stellenwert. Wir nehmen es kaum mehr wahr. Höchstens in der Form: Das ist leer, da ist Leere. Da fehlt was.

Wenn wir das nicht mehr wahrnehmen, dann haben wir buchstäblich den Sinn dafür verloren. Vieles lässt für uns aber erst einen Nutzen oder etwas Wertvolles entstehen, durch das Zusammenspiel von dem, was ist mit dem, was nicht ist.

Ein Tonkrug zum Beispiel. Wir nehmen seine äußere Beschaffenheit, seine Substanz wahr. Vielleicht hat er eine schöne Form oder ist ideenreich bemalt. Macht das aber diesen Krug aus? Nein. Ganz wesentlich ist das, was nicht ist. Der leere Raum, den der Krug umschließt. Dieser Zwischenraum zwischen den Begrenzungen des Kruges gibt ihm erst seine Funktion. Nur dadurch kann der Krug gefüllt werden und erhält seinen Sinn. Es ist das Nichts, die Leere, die ihn zu dem macht, was er ist. Ein Krug.

Eine aus dem Zen hervorgegangene Kunst ist das Stecken und Arrangieren von Blumen, Ikebana. Ein wichtiges Prinzip dabei: Um eine Blüte zur Geltung zu bringen, kommt es auf die Zwischenräume an. Ist das Gesteck einfach nur voll mit Blüten, Gräsern, kleinen Ästen, etc., dann kann die einzelne Blüte nicht zur Geltung kommen.

Gleiches finden wir in der Musik. Erst die Pause zwischen den Tönen und Klängen lässt uns diese in ihrem Zusammenspiel wahrnehmen.

Und das ist dann auch dieser Zwischenraum zwischen den Jahren, der uns das abgelaufene Jahr bewusst werden lässt. Ebenso wie Pläne, Gedanken, Annahmen, Bedürfnisse und Vorsätze für das anschließende Jahr. Dieses Anhalten, das nicht ausgefüllte Dazwischen schafft erst den Raum für die eigenen Wahrnehmung, die ansonsten zwischen eigenen und fremden Anforderungen und nahtlos ineinander übergehenden Terminen keinen Platz findet.

Kein Raum zwischen all dem Stress

In einer Workshop-Reihe lasse ich am Anfang die Teilnehmer reflektieren, was sie im Leben unter Druck und in Stress versetzt. In dieser Zeit sollen sie 3 Dinge für sich notieren und jeweils 2 bis 3 Sätze dazu schreiben. Anschließend sollen sich die Workshop-Teilnehmer paarweise darüber austauschen. Sie haben Raum erhalten, um sich über ihre Situation bewusst zu werden und dann bekommen sie Raum, um darüber zu sprechen.

Was dann passiert, ist immer wieder beeindruckend. Es ist für mich als dem Leiter der Gruppe eine schwierige Aufgabe, diesen Austausch wieder zu beenden. Die Gespräche zwischen den Teilnehmerpaaren entwickeln eine große Dynamik.

Wir werden uns sehr bewusst, was uns fordert oder überfordert, was uns unter Druck setzt und was uns beeinträchtigt, wenn wir Raum dafür bekommen. Erst dann beginnen wir wahrzunehmen, was das mit uns macht. Und nur was wir wahrnehmen, können wir auch verändern.


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Räume schaffen

Dieser Raum zwischen den Jahren entsteht eher ohne unser Zutun. Er entsteht, weil sich viele andere auch ins Private zurück- und unserem Zugriff entziehen. Oder weil vieles in dieser Zeit geschlossen und nicht verfügbar ist. Er entsteht quasi als Geschenk und wir können die Fragen und Wahrnehmungen unserer selbst entstehen lassen. Für viele eine Zeit, die sie bewusst genießen und nicht missen möchten.

Wir müssen allerdings nicht warten, bis uns eine solche Zeit, ein solcher Raum in einem Jahr wieder zufällt. Wenn wir wissen, wie und warum solche wertvollen Zwischenräume entstehen, dann haben wir es auch selbst in der Hand, diese entstehen zu lassen. Wir können auch im Jahr immer wieder Zeiten von Terminen und Anforderungen frei räumen.

Anhalten. Innehalten und wahrnehmen, wie es um uns bestellt ist. Was da gerade an Gedanken, Gefühlen, Bedürfnissen und Impulsen entsteht. Nur diese Wahrnehmung entstehen lassen, ohne gleich ins Tun zu verfallen. Eine gewisse Zeit nicht tun, nur sein.

Das können kleine Momente im Alltag sein, beispielsweise vor einem nächsten Termin oder wenn eine Aufgabe zu Ende gebracht wurde. Das kann die tägliche Meditationszeit sein und bewusste Räume für einen Spaziergang. Oder ein ganzes Wochenende oder die Erfahrung einer etwas längeren Auszeit in Meditation. Wir können diese Zeit zwischen den Jahren auch während des Jahres entstehen lassen.

Anhalten, Innehalten, Ruhe, Gelassenheit, Reflexion und eigene Wahrnehmung sind nicht nur etwas für die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester. Er ist genauso möglich in der Zeit zwischen Silvester und Weihnachten.

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