Mehr Aufmerksamkeit ist der Beginn. Wie oft hast du dich hingesetzt, um eine längere E-Mail oder ein Buch zu lesen, dich dann in Gedanken über die Arbeit oder ein Familiendrama verloren und erkannt, dass du es bis zum Ende der Seite geschafft hast, ohne etwas davon wirklich aufzunehmen?
Anstatt dessen bist du vielleicht in Gedanken die Aufgaben durchgegangen, die noch zu erledigen sind. Das mag dir vielleicht sogar als produktiv erscheinen. Multitasking ist sehr verführerisch. Aber am Ende stellt sich heraus, dass all diese Gedanken, die um deine Aufmerksamkeit konkurrieren, deine Fähigkeit aufmerksam zu sein tatsächlich verletzen können.
Keine Aufmerksamkeit auf unsere Aufmerksamkeit
Kinder – und jung gebliebene Erwachsene – kennen den Effekt, der entsteht, wenn sie einen flachen Stein über Wasser springen lassen. Der Stein berührt das Wasser an einer Stelle nur ganz kurz und springt sofort weiter zur nächsten Stelle, wo er wieder nur kurz verweilt. Das ist ein gutes Bild, wie wir mit unserer Aufmerksamkeit umgehen. Wir lassen diese nur ganz kurz bei einer Sache verweilen, bevor sie zur nächsten springt, bzw. zur nächsten weitergeleitet wird.
In einer Studie sollten Teilnehmer jedes Mal eine Taste drücken, wenn eine Zahl auf dem Bildschirm vor ihnen erschien. Die Taste sollte aber nicht gedrückt werden, wenn diese Zahl drei war. Trotz der Einfachheit dieser Aufgabe drückte die große Mehrheit der Menschen nach nur zwei Minuten den Knopf zur falschen Zeit. Das ist ein gutes Beispiel, wie schnell wir in einen umherwandernden Geist (wandering mind) verfallen.
Die Überlastung unserer Aufmerksamkeit schadet uns. Das Üben von Achtsamkeit kann uns den Raum für mehr Aufmerksamkeit geben. Den Raum, den wir brauchen um uns Auszurichten, Fokus zu halten, auf eine einzelne Aufgabe, auf ein Gespräch oder auf uns selbst.
Mehr Aufmerksamkeit, ein besserer Umgang damit steht dabei am Anfang einer Achtsamkeitspraxis oder am Anfang der Meditation. Wir beginnen mit der Ausrichtung der Aufmerksamkeit zum Beispiel auf den Atem. Und wollen die sie dort halten, während wir schnell feststellen, dass wir in Gedanken abdriften, obwohl wir doch beim Atem bleiben wollten. Das bringt einerseits die Erkenntnis, dass unser Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu halten begrenzt ist und auf der anderen Seite ist das eine Übung, welche genau die Fähigkeit verbessert und zu einem Mehr an Aufmerksamkeit führt.
Wofür ist mehr Aufmerksamkeit wichtig?
Aufmerksamkeit ist ganz entscheidend für unsere Wahrnehmung. Sie beeinflusst unsere Wahrnehmung sogar. Aufmerksamkeit ist wie eine Taschenlampe. Dort wo der Lichtkegel hinleuchtet, das nehmen wir wahr. Ist der Lichtkegel schwach und schmal, dann ist auch unsere Wahrnehmung schwach. Schwenkt die Taschenlampe unruhig und schnell hin und her, dann erkennen wir keine Details.
Und nur was wir wahrnehmen, können wir auch erkennen und verändern. „Je mehr wir wahrnehmen, umso mehr Veränderung ist möglich“, stellte schon Carl Rogers (Psychologe und einer der Väter der modernen Psychotherapie) fest. Damit steht ein Mehr an Aufmerksamkeit am Beginn Wirkungskette: Aufmerksamkeit – Wahrnehmung – Veränderung / Regulation.
Gedankenwandern und Tagträumen
Wenn Gedanken ungebremst entstehen und sich entwickeln, dann ist das nicht per se schlecht. Wenn das bewusst und vielleicht in einer entspannten Atmosphäre geschieht, dann kann ein solches Tagträumen ein sehr schöpferischer Prozess sein, Kreativität fördern und auch deine Stimmung positiv beeinflussen. Das Gedankenwandern, ein „wandering mind“, hingegen geschieht, wenn du es eigentlich nicht willst (z.B. während du eine wichtige Aufgabe erledigst). Es beeinträchtigt das Aufmerksamkeitssystem und dann sind gerade solche schöpferischen Prozesse und Kreativität nicht möglich.
Ein Trainingslager für mehr Aufmerksamkeit
Die Psychologie- und Neurowissenschaftlerin Amishi Jha von der University of Miami hat mit ihrem Team die Verbindung zwischen Meditation und Aufmerksamkeit untersucht, um zu verstehen, was mit dem Gehirn passiert, wenn Menschen Achtsamkeit praktizieren. Sie haben festgestellt, dass Gehirnnetzwerke, die für Funktionen wie Fokus und Konzentration verantwortlich sind, durch Meditation und Achtsamkeitspraxis gestärkt werden. Eine Überlastung unserer Aufmerksamkeit schadet uns und das Üben von Achtsamkeit gibt uns den Raum, den wir brauchen, um den Fokus zu finden.
„Wir sehen das als mentalen Schub nach vorne – konzentrieren, wahrnehmen, mehr mit dem Leben im Kontakt sein“, ist ihre Erkenntnis.