Achtsamkeit und Meditation – Warum das nicht das Gleiche ist

Achtsamkeit und Meditation

Achtsamkeit und Meditation

Die Begriffe Achtsamkeit und Meditation werden oft austauschbar verwendet. Sie sind auch eng miteinander verbunden. Aber Achtsamkeit und Meditation ist nicht das Gleiche.

Achtsamkeit und Meditation – Eine Unterscheidung wert?

Ist aber die Unterscheidung wichtig? Wichtig für Menschen, die sich dafür entschieden haben Achtsamkeit zu kultivieren oder zu meditieren, vielleicht sogar beides zu tun? – Ich denke ja, das ist wichtig. Am Anfang sind Menschen, die sich der Achtsamkeit oder der Meditation nähern voller Erwartungen und ziehen daraus die Motivation zu beginnen, sich einzulassen, erste Erfahrungen zu machen.

Und da meine ich, unterstützt es diese Motivation, wenn man zwischen Achtsamkeit und Motivation unterscheiden kann. Wenn man weiß, was man da gerade tut und was die Essenz, das Wesentliche davon ist. (Alleine das Bewusstsein über den Unterschied und die Gemeinsamkeiten ist schon eine gewisse Achtsamkeit, aber das nur am Rande.)

Achtsamkeit hat die Welt im Sturm erobert

Von Meditation hat jeder schon gehört. Auch schon vor 10 oder 20 Jahren. Das ist eine seit Tausenden von Jahren alte Praxis. Aber wer hatte vor 10 Jahren schon den Begriff Achtsamkeit (und damit meine ich nicht die Bedeutung im Deutschen wie „Acht geben“, „vorsichtig sein“) gehört?

Und es ist kein Zufall, dass die explosionsartige Popularität von Achtsamkeit mit der Entwicklung der Sozialen Medien zusammenfällt. Je mehr Technologie, je mehr Smartphone-Apps wir benutze, desto verstreuter ist unsere Aufmerksamkeit. Wie ein übers Wasser geworfener flacher Stein „ditscht“ unsere Aufmerksamkeit schnell von einem Punkt zum anderen, von einer Aktivität zur anderen. Kein Wunder also, dass wir uns nach Werkzeugen sehnen, um uns wieder in einen Zustand zu bringen, in dem Einfachheit, Ruhe und Klarheit herrschen.

Aber ist es dasselbe wie Meditation? Was ist der Unterschied zwischen den beiden?

Ein kleiner Ausflug in die Geschichte

Das was Achtsamkeit ursprünglich bedeutete entstand bereits vor mehreren tausend Jahren im Hinduismus und wurde im Buddhismus verfeinert und war Teil von spirituellen Wegen. Diese Art der Achtsamkeit kam erst nennenswert im 20. Jahrhundert auch in die westliche Welt.

Einen Boom erfuhr Achtsamkeit dann durch den Harvard-Professor Jon-Kabat Zinn und sein MBSR Programm Ende der 70er Jahre. Er löste eine breite wissenschaftliche Beschäftigung mit Achtsamkeit und Meditation aus.

Er entfernte die spirituellen Elemente aus den alten östlichen Traditionen, um seinen Ansatz einer breiteren Masse zugänglich zu machen. Das ist sein großes Verdienst und Achtsamkeits-basierte Stressreduktion (MSBR – Mindfulness Based Stress Reduction) war geboren. Es verbindet Achtsamkeit und Meditation mit Elemanten aus dem Yoga und vielen inhaltlichen Informationen zum eigenen Verhalten.

Achtsamkeit wurde – nicht nur durch MBSR, aber sehr wesentlich dadurch – populär und fand Eingang in die westliche Medizin und Wissenschaft. Das MBSR Training ist das am meisten untersuchte Trainingsprogramm für Achtsamkeit und Meditation. Es unterstützt seitdem viele Menschen, sowohl bei körperlichen Themen wie Schmerz, aber auch bei der Verbesserung vieler geistiger (Gesundheits-)Zustände.

Dass die psychischen Belastungen in unserer Zeit rapide zunehmen und sich ganz vorne in den Krankheitsstatistiken wiederfinden, ist eine Erklärung für die große Nachfrage nach Achtsamkeit und Meditation … und eben auch nach Programmen wie MBSR.

Die Übungen in einem MBSR Kurs sind leicht von jedem erlernbar und haben nichts von der strengeren Form zum Beispiel des Zen (Die klare und strenge Form des Zen hat dafür andere Vorteile …).

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Was ist also Achtsamkeit?

Achtsamkeit ist die absichtsvolle (also willentlich bewusste) Ausrichtung der eigenen Aufmerksamkeit auf den jetzigen Moment, um wahrzunehmen, was jetzt im Moment ist (mit mir in meiner Welt), ohne darüber zu urteilen.

Zugegeben, das ist eine etwas sperrige Definition, die sich für Achtsamkeitsunerfahrene auch nicht sofort erschließt. Zentral dabei ist die Ausrichtung auf den aktuellen Moment, auf das Jetzt. Das hat eine große Kraft. Dafür wurde im Englischen sogar ein neues Wort erfunden: Nowness (Jetzt-Sein, in der Gegenwart).

Es geht darum, seine Aufmerksamkeit (man könnte auch sagen: seinen Geist) vollständig auf eine Sache (eine Tätigkeit oder eine Wahrnehmung) auszurichten, die im gegenwärtigen Moment stattfindet. Eine schöne Formulierung dafür: Sein im Tun.

Aber tun wir das nicht ständig, könnte man einwenden. Die Antwort ist: Nein, das tun wir eben gerade nicht. In der Mehrheit unserer Zeit sind wir mit unseren Gedanken in der Vergangenheit (oft grübelnd) oder planerisch in der Zukunft unterwegs.

Was jetzt gerade im Moment mit und um uns geschieht, bekommen wir in der Mehrheit der Zeit nicht bewusst mit. Wir bemerken dann nicht, was wir aus der Umgebung wahrnehmen. Und reagieren unbewusst, sind im Autopiloten. Wir hören in einem Gespräch nur Bruchstücke. Unser eigenes Leben läuft an uns vorbei.

Aber ist Achtsamkeit, also eine hohe Aufmerksamkeit bei einer Tätigkeit, vielleicht sogar wenn wir ganz eins werden mit dieser Tätigkeit, nicht auch eine Art Meditation? Kürzer formuliert: Ist achtsames Stricken z.B. meditativ? Ist es Meditation?

Man kann sicherlich (ich leider nicht …) sehr aufmerksam stricken und mit seinem Geist ganz dabei sein. Eine Meditationspraxis ist das nicht. Es ist die konkrete Anwendung von Achtsamkeit. Und diese Achtsamkeit kann mit Hilfe von Meditation kultiviert werden. Deswegen ist Stricken natürlich trotzdem eine tolle Sache, aber eben keine Meditation.

Und was ist Meditation?

So einfach lässt sich das nicht beantworten. Es gibt viele verschiedene Arten von Meditation. Sei es das Ausrichten der Aufmerksamkeit auf den Körper (zum Beispiel auf den Atem), das Gewahrwerden von Gefühlen oder Gedanken. In manchen Traditionen spielen Mantren eine Rolle oder Visualisierungen.

Im Zen heißt es: Alles gewahr werden, was ist.

Ich habe noch eine weitere, sehr kraftvolle Definition gefunden: „Meditation ist eine revolutionäre Praxis, um Dein Leben zu transformieren, indem Du Dich mit allen Aspekten dessen vertraut machst und diese freundlich annimmst, was Du bist.“

Carl Friedrich von Weizsäcker hat dies so formuliert: “Meditation macht aus uns niemand anderen, sondern den, der wir immer gewesen sind.”

Und dazu passt dann auch noch das Zitat von Jon-Kabat Zinn: “Bei der Meditation geht es nicht um den Versuch, irgendwo hinzugelangen. Es geht darum, dass wir uns selbst erlauben, genau dort zu sein, wo wir sind, und genau so zu sein, wie wir sind, und desgleichen der Welt zu erlauben, genau so zu sein, wie sie in diesem Augenblick ist.”

Ein wesentlicher Teil des Meditationsprozesses in allen alten Traditionen ist die Beobachtung des eigenen Geistes und wie dieser funktioniert. Und da kommt unser Verstand mit ins Spiel. Unser Verstand ist aus evolutionärer Sicht darauf programmiert, Probleme zu lösen und ein Gefühl der Identifikation, des eigenen Selbst zu schaffen. Dies hat unsere Überlebenschancen als Menschen erhöht.

Eine Kernfunktion dieses Problemlösungs- und Überlebensprozesses ist es, Dinge, die wir nicht mögen (z.B. Schmerzen, Stress, Leid, etc.) zu vermeiden und Dinge, die wir mögen (z.B. Freude) anzustreben. Aber wir können eben nicht allem, was wir ablehnen, aus dem Weg gehen. Leid, Stress und Schmerzen sind Teil des Lebens. Und ebenso wenig bringt das Leben nur Freude und Spaß.

Ironischer Weise agieren wir oft so, dass wir durch das Ausblenden von Leid und dem Gieren nach allem, was Spaß macht und uns ablenkt, noch mehr Schmerz, Stress und Leid in uns schaffen. Das bringt unseren Verstand in einen ständigen Widerspruch.

Wenn ein Aspekt von Meditation das Wahrnehmen der Realität ist, das Wahrnehmen dessen was ist, dann macht es auch diesen Widerspruch in unserem verstandesmäßigen Streben offenkundig. Unser Verstand mag diesen Widerspruch nicht und es kann sein, dass er zu uns sagt: Hör auf. Lass das mit dem Meditieren.

In der Meditation kann man aber lernen, dass der Verstand nur ein Werkzeug unter vielen ist und das wir den Verstand benutzen können, wenn es nützlich ist und ihn aber auch weglegen können, wenn er nicht hilfreich ist.

Es gibt ein weit verbreitetes Missverständnis, dass es bei der Meditation darum geht, Gedanken aufzuhalten oder den Verstand auszublenden – das ist es nicht. Es geht darum zu beobachten, wie der Verstand gerne Geschichten und Gedankenschleifen über unsere Vergangenheit und unsere Zukunft erschafft. Mit der Realität haben diese Geschichten oft nicht wirklich etwas zu tun. Sie sind das, was sie sind: Geschichten.

Es geht darum, wer wir sind, und diese Geschichten allmählich weniger mit einzubeziehen. Wir sind weit mehr als diese Gedanken und wir können uns dies bewusst werden. Sobald wir uns in der Meditation, in den Lücken zwischen den Gedanken, damit verbinden, können wir einen Blick auf Gleichmut und Gelassenheit erhaschen und ein wirkliches Verständnis dessen gewinnen, was im Kopf vor sich geht.

Es ist sehr befreiend zu erkennen, dass wir nicht auf all unsere Gedanken, Wünsche und Triebe hören oder gar reagieren müssen. Dass sie nicht das sind, was wir sind. Denn es gibt einen Teil von uns, der getrennt davon ist und unsere Gedanken beobachten kann.

Meditation ist nicht nur eine Übung der Konzentration, sondern erlaubt es uns, die viel umfassenderen Fragen zu stellen und zu beantworten. Was ist es, das uns bewusst ist? Was uns ins Ungleichgewicht bringt? Welche Gedanken und Gefühle uns begleiten? Warum es so problematisch ist, sich auf die Zukunft zu konzentrieren oder in der Vergangenheit gefangen zu sein? Was unsere Persönlichkeit ausmacht? Was und wessen wir uns bewusst sind? Wer wir sind?

Diese Fragen werden nicht nur mit Achtsamkeit beantwortet. Und deshalb ist die Unterscheidung von Achtsamkeit und Meditation von Bedeutung.

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