Achtsamkeit und Digitalisierung – haben diese beiden Begriffe etwas miteinander zu tun? Da lohnt ein Blick. Und ein Text von Jon Kabat-Zinn gibt hier einen guten Impuls dazu:
In den vergangenen 25 bis 30 Jahren hat sich die Welt in gigantischer und kaum vorstellbarer Weise verändert, vielleicht mehr als jemals zuvor in einem so kleinen Zeitraum.
Digitale Revolution
Man denke nur an Errungenschaften wie Laptop, Smartphone, an das Internet, Google, Facebook und Twitter, an die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Kontaktaufnahme, der Vernetzung und des mobilen Zugangs zu Informationen. An die Auswirkungen der unaufhaltsam fortschreitenden digitalen Revolution auf nahezu all unser Tun, die rasante Beschleunigung und Rastlosigkeit unserer Lebensführung.
Soziale, wirtschaftliche und politische Veränderunden
Ganz zu schweigen von den enormen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, die während dieser Periode weltweit eingetreten sind. Das Tempo, in dem sich der Wandel heute bereits vollzieht, wird sich kaum verringern, sondern weiter steigern. Und das wird immer spürbarere und letztlich unausweichliche Konsequenzen haben.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die wissenschaftliche und technologische Revolution mit ihren Folgen für unser aller Leben kaum erst begonnen hat. Und es ist gewiss, dass der Stress, den die notwendige Anpassung mit sich bringt, in den kommenden Jahrzehnten noch weiter anwachsen wird.
Achtsamkeit und Digitalisierung
Was ist eine wirkungsvolle Alternative, ein Gegengewicht zu all den Formen des Verlustes unserer selbst, der uns schließlich auch aus den Augen verlieren lässt, was in unserem Leben wirklich von Bedeutung ist?
Wir sind so anfällig dafür, uns von den Anforderungen unserer alltäglichen Aufgaben beherrschen zu lassen, von dem, was sich in unserem Kopf abspielt und was wir in unserem Denken für wichtig halten, dass wir Gefahr laufen, in einen Grundzustand permanenter Anspannung, Unruhe und Überreizung zu verfallen, von dem unser ganzes Leben automatisch gesteuert wird.
Dieser Dauerstress verstärkt sich noch, wenn wir uns mit einer ernsten Erkrankung, mit anhaltenden Schmerzen oder einem chronischen Leiden auseinandersetzen müssen. Ob wir nun selbst davon betroffen sind oder einer unserer Angehörigen.
So viel Tun …. und so wenig Sein
Die Übung der Achtsamkeit ist heute also wichtiger denn je – als ein zuverlässiger Weg zu Gesundheit und körperlichem Wohlbefinden und nicht zuletzt als ein inneres Gegengewicht, das uns hilft, in einer sich überstürzenden Welt unsere geistige Gesundheit zu bewahren.
Denn während wir die Segnungen einer 24-Stunden-Vernetztheit erfahren, die uns erlaubt, überall und jederzeit mit aller Welt in Verbindung zu treten, machen wir paradoxerweise zugleich die Erfahrung, dass es noch nie so schwierig war, mit uns selbst und unserer inneren Welt in Kontakt zu kommen. Und damit nicht genug: Wir haben immer weniger Zeit für die Begegnung mit uns selbst, obwohl jedem von uns nach wie vor 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen.
„Wir füllen diese Stunden mit so viel Tun aus, dass uns kaum mehr Zeit zum Sein bleibt.“
Das Leben besteht aus Augenblicken
Das Leben besteht aus Augenblicken. Das ist eine unumstößliche Wahrheit, die auch in Zukunft ihre Gültigkeit behalten wird, für jeden Einzelnen von uns, wie sehr sich die Welt auch weiter digitalisieren mag.
Dennoch sind wir während eines großen Teils unserer Zeit nicht im Kontakt mit der Fülle des gegenwärtigen Moments. Es ist eine Tatsache, der wir meist viel zu wenig Beachtung schenken:
Wenn wir bewusst im gegenwärtigen Augenblick leben – der allein Realität besitzt -‚ so wird dies Auswirkungen auf den ihm folgenden Moment haben, und dies wiederum wird sich, vorausgesetzt, es gelingt uns, diesen Prozess aufrechtzuerhalten, auf die Zukunft, unsere Lebensqualität und unsere Beziehung zu anderen Menschen auswirken.
Auf die Zukunft Einfluss nehmen
Das einzige Mittel, auf die Gestaltung der Zukunft Einfluss zu nehmen, besteht darin, sich die Gegenwart zu eigen zu machen, wie immer sie sich uns darstellen mag. Wenn wir ganz im Gewahrsein des gegenwärtigen Augenblicks aufgehen, dann wird der kommende Augenblick eine ganz andere Qualität haben, weil wir im Jetzt präsent sind. So können wir kreative Wege zu einer Lebensführung entdecken, die wirklich dem Leben entspricht, das zu führen uns aufgegeben ist.
Erfahren wir neben Leid auch Freude und Zufriedenheit? Gelingt es uns, inmitten des alles verschlingenden Mahlstroms, der das Leben ist, uns in unserer Haut wohl zu fühlen? Kennen wir Unbeschwertheit und Heiterkeit, erfahren wir sogar Momente tiefen Glücks? Um nichts Geringeres geht es hier. Dies ist es, was uns der gegenwärtige Moment zu geben vermag, wenn wir uns ihm, ohne zu urteilen, in wohlwollendem Gewahrsein zuwenden.
Die Übung der Achtsamkeit besitzt ihre eigene innere Logik und Poesie, bietet aus sich selbst ausreichend überzeugende Gründe, sie zu einem Teil unseres Lebens zu machen und systematisch zu pflegen.
Quelle: Jon Kabat-Zinn, im Vorwort seines Buches „Gesund durch Meditation“