Zazen und Meditation sind zwei Begriffe. Viele haben ein Verständnis davon, dass Zazen eine Technik oder Voraussetzung ist, die dann Meditation ermöglicht. Das ist nicht der Fall und es lohnt die Ausseinandersetzung damit.
Zazen – Sitzen in Meditation
Die Wortbedeutung setzt sich zusammen aus „za“, was soviel wie sitzen bedeutet und „zen“, was für Meditation steht. Zazen bedeutet also Meditation im Sitzen.
Darin wird bereits deutlich, dass die äußere Form – das Sitzen – mit der Meditation zusammenfallen und nicht getrennt sind. Zazen ist eben nicht eine besondere Technik oder Körperhaltung mit der man einen Zustand des „kein Gedanke“ erreichen kann. Ein solches Verständnis von Zazen geht davon aus, dass ein bestimmter Geisteszustand durch Manipulation, Technik oder Methode erreicht wird.
Im Westen wird Zazen gewöhnlich als „Zen-Meditation“ oder „sitzende Meditation“ bezeichnet. Im zeitgenössischen Sprachgebrauch wird Zazen mehr und mehr als eine der vielen Methoden aus östlichen spirituellen Traditionen betrachtet, um Ziele wie die Gesundheit von Körper und Geist, ein angemessenes soziales Verhalten, einen friedvollen Geist oder die Lösung verschiedener Lebensprobleme zu erreichen.
Es ist zwar wahr, dass viele Meditationspraktiken in der buddhistischen Tradition hilfreich sind, um diese Ziele zu erreichen. Und dies kann sicherlich ein geschickter Gebrauch von Meditation als Werkzeug sein.
Unterschiede von Zazen und Meditation
Zazen, wie es von Meister Dogen (einer der großen Zen Meister, 1200-1252) verstanden wird, ist jedoch etwas anderes und kann nicht als Meditation in dem oben beschriebenen Sinne kategorisiert werden.
In einem seiner zentralen Schriften (dem Shobogenzo), gleichzeitig eines der großen Meisterwerke der zen-buddhistischen Lehrtradition, betrachtet er Zazen in erster Linie als eine ganzheitliche Körperhaltung, nicht ein Geisteszustand.
Dogen beschreibt Zazen als „unbeweglich sitzen wie ein mächtiger Berg“. Den Schlüssel zu Zazen sieht er in einer vollkommenen äußeren Form, womit er eine vollkommene Position des Körpers im Sitzen meint.
Zazen – ein anderes Verständnis als im Yoga
Hier unterscheidet er das Zazen völlig von yogischen Traditionen Indiens. Dieses Verständnis wirft ein großes Licht darauf, wie wir uns Zazen nähern sollten.
In den meisten Meditationstraditionen beginnen die Praktizierenden mit einer bestimmten Meditationsmethode (z.B. Zählen der Atemzüge oder Konzentration des Geistes auf bestimmte Empfindung usw.), nachdem sie eine passende Sitzposition eingenommen haben. Mit anderen Worten, das was sie tun ist Sitzposition plus Meditation. Die Sitzposition oder äußere Form wird bei dieser Anwendung zu einem Mittel, um Körper und Geist optimal für mentale Übungen, die „Meditation“ genannt werden, vorzubereiten, zu rüsten oder zu konfigurieren. Sie ist aber kein Ziel an sich.
Eine solche Praxis ist dualistisch strukturiert, mit einem sitzenden Körper als Gefäß und einem meditierenden Geist als Inhalt. Und der Schwerpunkt liegt immer auf der Meditation als mentale Übung. In einer solchen dualistischen Struktur sitzt der Körper, während der Geist etwas anderes tut.
Für Dogen hingegen besteht das Ziel von Zazen darin, einfach nur richtig in der Form zu sitzen – es gibt absolut nichts hinzuzufügen. Es ist formvolles Sitzen plus Null.
Körper und Geist im Sitzen
Kodo Sawaki, einer der große Zen-Meister des Japan des frühen 20. Jahrhunderts, sagte:
„Sitze einfach in Zazen, und das ist alles.“
In diesem Verständnis geht Zazen über den Geist-Körper-Dualismus, diese geteilte Zweiheit, hinaus. Sowohl der Körper als auch der Geist werden allein durch den Akt des Sitzens in der Form gleichzeitig und vollständig beansprucht. Dogen formulierte es 700 Jahre früher etwa so:
„Sitze in der Form mit dem Körper, sitze in der Form mit dem Geist, sitze in der Form des abfallenden Körper-Geistes.“
Körper-Geist-System im Zazen
Während die meisten Meditationen dazu neigen, sich auf den Kopf zu konzentrieren, konzentriert sich Zazen mehr auf das lebendige, ganzheitliche Körper-Geist-System und lässt den Kopf einfach sein, ohne ihm Vorrang zu geben. Wenn der Kopf überfunktional ist, führt dies zu einem unausgeglichenem und gespaltenen (Er-)Leben. Aber in der Zazen-Haltung lernt der Kopf, seinen richtigen Platz und seine richtige Funktion innerhalb eines einheitlichen Geist-Körper-Feldes zu finden.
Unser lebendiger menschlicher Körper ist nicht nur eine Ansammlung von Körperteilen, sondern ein organisch integriertes Ganzes. Bewegt sich ein Körperteil , so subtil die Bewegung auch sein mag, bewirkt dies gleichzeitig die Bewegung des ganzen Körpers mit ihm.
Tiefe in und durch die richtige Haltung
„Allein das Sitzen in richtiger Haltung“ erreicht unendliche Tiefe. Wenn wir zum ersten Mal lernen, wie man Zazen praktiziert, können wir es nicht als Ganzes oder in einem einzigen Zug lernen.
Unvermeidlich zerlegen wir Zazen zunächst in kleine Stücke und ordnen sie dann in einer bestimmten Reihenfolge an: Regulierung des Körpers, Regulierung des Atems und Regulierung des Geistes. Dogen schrieb dazu:
„In unserem Zazen ist es von vorrangiger Bedeutung, in der richtigen Haltung zu sitzen. Reguliere als nächstes den Atem und beruhige dich.“
Nachdem man dieses Anfangsstadium durchlaufen hat, müssen alle Anweisungen, die als getrennte Abschnitte in Raum und Zeit vermittelt werden, als Ganzes in den Körper-Geist des Zazen-Praktizierenden integriert werden.
Zazen und Meditation sind dann nicht mehr unterschiedliche Dinge!
Shoshin-Taza – Einfach nur Sitzen
Wenn Zazen zu Zazen wird, wird Shoshin-Taza verwirklicht. Das bedeutet, „einfach (tan) sitzen (za) mit der korrekten (sho) Körperhaltung (shin), wobei „taza“ die Qualität des Ganzseins und Einsseins in Zeit und Raum betont. Das „Ganzsein“ von Zazen muss als „ein“ Sitzen integriert werden. Mit anderen Worten, Zazen muss „Zazen, Ganz und Eins“ werden, einfach nur Sitzen.
Wie manifestiert sich diese Qualität, ganz und eins zu sein, in der Sitzhaltung von Zazen? Wenn Zazen tief integriert ist, hat der Praktizierende nicht das Gefühl, dass ein Körperteil von den anderen getrennt ist und hier und da unabhängig seine Arbeit im Körper verrichtet. Der Praktizierende ist nicht damit beschäftigt, viele verschiedene Dinge an verschiedenen Stellen im Körper zu tun, indem er den verschiedenen Anweisungen zur Regulierung des Körpers folgt.
In Wirklichkeit tut er nur eine einzige Sache, um kontinuierlich mit dem ganzen Körper die rechte Sitzhaltung anzustreben.
Ganz und Eins
In der tatsächlichen Erfahrung des Übenden gibt es also nur eine einfache und harmonisch integrierte Sitzhaltung. Er empfindet die gekreutzen Beine, die Handhaltung, die halb geöffneten Augen usw. als lokale Manifestationen der Sitzhaltung als Ganzes und Eins. Während jeder Teil des Körpers auf seine eigene, einzigartige Weise funktioniert, sind sie als ganzer Körper vollständig in den Zustand des Einsseins integriert.
Es wird erlebt, als ob alle Grenzen oder Trennungen zwischen den Körperteilen verschwunden sind und alle Teile von einer einzigen vollständigen Haltung aus Fleisch und Knochen umarmt und verschmolzen werden. Manchmal haben wir während Zazen das Gefühl, dass unsere Hände oder Beine verschwunden sind.
Haltung und Schwerkraft
Der Begriff „shoshin-taza“ lässt sich vielleicht am besten im Sinne von Haltung und Schwerkraft verstehen. Alle Dinge werden immer durch die Schwerkraft zum Mittelpunkt der Erde gezogen. Innerhalb dieses Gravitationsfeldes hat jede Lebensform überlebt, indem sie sich auf verschiedene Weise mit der Schwerkraft in Einklang gebracht hat.
Wir Menschen haben nach einem langen evolutionären Prozess eine aufrechte Körperhaltung erreicht, indem wir uns in der Mittelachse des Körpers vertikal aufgerichtet haben. Die aufrechte Haltung ist insofern „gegen die Schwerkraft gerichtet“, als sie nicht ohne eigene menschliche Absichten und Willensäußerungen existieren kann, die unterbewusst wirken, um den Körper aufrecht zu halten.
Obwohl die vertikale Haltung aus dieser Perspektive gegen die Schwerkraft wirkt, kann sie richtig ausgerichtet werden, um „im Einklang mit der Schwerkrakft“ zu sein, d.h. der Schwerkraft zu folgen.
Wenn der Körper geneigt wird, werden bestimmte Muskeln angespannt, um die aufrechte Haltung beizubehalten; wenn jedoch verschiedene Körperteile entlang einer vertikalen Linie richtig integriert sind, wird das Gewicht vom Skelettrahmen getragen und unnötige Anspannungen in den Muskeln werden gelöst.
Der ganze Körper fügt sich dann in die Richtung der Schwerkraft. Die Feinheit der Sitzhaltung scheint darin zu liegen, dass „gegen die Schwerkraft gerichtete“ und „im Einklang mit der Schwerkraft“ stehende Zustände, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen mögen, ganz natürlich nebeneinander existieren.
Unsere Beziehung zur Schwerkraft beim Shoshin-Taza ist weder eine gegen die Schwerkraft gerichtete Art, durch angespannte Muskeln und einen starren Körper mit der Schwerkraft zu kämpfen. Noch eine im Einklang mit der Schwerkraft gerichtete Art, mit schlaffen Muskeln und einem schlaffen Körper von der Schwerkraft besiegt zu werden.
Sitzen wie ein Berg
Beim Zazen sitzt der Körper unverrückbar wie ein Berg, während der innere Körper in jedem Winkel gelöst, entlastet und entspannt ist. Wie ein „auf einem Ende balanciertes Ei“ bleibt die äußere Struktur stark und fest, während das Innere weich, ruhig und entspannt ist.
Bis auf die minimal notwendigen Muskeln ist alles ruhig in sich ruhend. Je entspannter die Muskeln sind, desto sensibler kann man sein. Das Verhältnis zur Schwerkraft wird immer feinfühliger eingestellt. Je mehr sich die Muskeln entspannen können, desto präziser wird die Bewusstheit – und Zazen wird unendlich vertieft.
Aus der Geschäftigkeit des Menschseins herauszugehen
„Wenn du in Zazen sitzt, denke weder an Gut noch an Böse. Kümmere dich nicht um richtig oder falsch. Lege das Wirken deines Intellekts, deines Willens und deines Bewusstseins beiseite. Höre auf, die Dinge mit deinem Gedächtnis, deiner Vorstellungskraft oder deinem Nachdenken zu betrachten“, so Meister Dogen.
Wenn wir diesem Rat folgen, steht es uns bis auf weiteres frei, unsere hoch entwickelten intellektuellen Fähigkeiten beiseite zu legen. Wir lassen einfach unsere Fähigkeit zur Konzeptualisierung los in der wir für alles Begriffe finden.
In Zazen denken wir nicht absichtlich über etwas nach. Das bedeutet nicht, dass wir einschlafen sollten. Im Gegenteil, unser Bewusstsein sollte immer klar und wach sein:
Während wir in der Zazen-Haltung sitzen, werden all unsere menschlichen Fähigkeiten, die wir durch alle Zeiten der Evolution erworben haben, vorübergehend aufgegeben oder suspendiert. Da diese Fähigkeiten – Bewegen, Sprechen, Greifen, Denken, … – die Fähigkeiten sind, die die Menschen am meisten schätzen, könnten wir mit Recht sagen, dass „der Eintritt in Zazen bedeutet, aus der Geschäftigkeit des Menschseins herauszugehen“ oder dass in Zazen „keine dieser Geschäftigkeiten erledigt werden“ und das reine Menschsein übrig bleibt.
Dann ist Zazen und Meditation nicht mehr etwas, was getrennt voneinander ist. Zazen ist die Meditation.