Black Friday. – Mit dem Handy in der Hand saß ich auf dem Sofa. Du kennst das: Angebote überall. – Da war dieses eine Angebot: eine edle Siebträger-Espresso-Maschine, mehr als 50 % reduziert.
„Vielleicht sollte ich sie einfach kaufen“, dachte ich. „So ein Deal kommt nicht wieder. Am Ende spare ich damit sogar Geld.“
Und zack, war ich drin:
Vergleiche lesen, Testberichte studieren, YouTube-Reviews schauen – du kennst die Spirale. Irgendwann merkte ich, wie mich das Angebot völlig in seinen Bann gezogen hatte.
Dann kam doch noch dieser Moment der Klarheit: Was mache ich da?
Meine Kaffeemaschine funktioniert einwandfrei. Ich brauche das nicht.
Es fühlte sich ein bisschen an, als wäre ich aus einer Trance aufgewacht. Eine Art Alltags-Marketing-Hypnose – ausgelöst durch Rabatte, Bilder, Versprechen.
Und in genau diesem kleinen Moment – kurz innehalten, atmen, fragen: „Brauche ich das wirklich?“ – kippte etwas.
Vielleicht kennst du das auch:
Wir investieren Zeit, Energie und Geld in Dinge, die wir gar nicht brauchen, die uns nur kurz kicken – und die, hochgerechnet auf Millionen und Milliarden Menschen dann auch noch unseren Planeten belasten.
Dieser „Black Friday“, diese „Black Week“ ist eine Einladung, diesen Mechanismus genauer anzuschauen:
Was passiert da eigentlich im Gehirn?
Was sagt Zen dazu?
Und wie können wir damit üben – ganz konkret, mitten in unserem Alltag?
1. Was Black Friday mit deinem Gehirn macht
Aus Sicht der Neurowissenschaft ist Black Friday kein Zufall, sondern ein ziemlich perfektes – und absichtlich gewünschtes – Setting für unser Belohnungssystem.
Sätze wie:
- „Nur heute!“
- „Nur noch 3 Stück!“
- „60 % billiger!“
lösen etwas in uns aus. Unsere Dopamin-Systeme springen an – dieselben Bahnen, die aktiv werden, wenn wir uns auf gutes Essen, Sexualität oder soziale Anerkennung freuen. Wichtig dabei:
Dopamin steht nicht für Glück, sondern für WOLLEN. Es motiviert uns zu handeln, nicht zu genießen.
Je unsicherer oder zeitkritischer die Belohnung („Nur noch heute!“), desto größer der Dopaminschub. Marketing nutzt genau das: Knappheit, Neuheit, soziale Vergleichbarkeit („Andere haben das schon im Warenkorb“).
Gleichzeitig hat der Teil unseres Gehirns, der für langfristiges Denken und Impulskontrolle zuständig ist – der präfrontale Cortex – in solchen Momenten einen schweren Stand. Reizüberflutung, Emotion, leichte Anspannung: Seine Kapazität sinkt. Die älteren, emotionalen Systeme übernehmen das Ruder.
Kurz gesagt: Neurochemie schlägt Vernunft.
Und noch etwas Spannendes: Studien zeigen, dass die stärkste Reaktion im Belohnungssystem nicht beim Besitz entsteht, sondern in der Erwartung.
Der größte Kick passiert kurz vor dem Klick auf „Kaufen“, nicht wenn das Paket ankommt.
Unsere Konsumkultur lebt von genau dieser Dauererwartung:
Wollen – bekommen – kurz zufrieden – … wieder wollen.
Eine Endlosschleife, die uns ständig ein kleines Stück vor der Erfüllung hält ohne wirklich bei Erfüllung dauerhaft anzukommen.
Meditation ist in diesem Zusammenhang etwas sehr Konkretes:
Sie schafft genau den Raum zwischen Impuls und Handlung, in dem wir überhaupt merken können, was da mit uns passiert.
2. Begehren und Abneigung – die buddhistische Landkarte
Die buddhistische Psychologie beschreibt diesen Mechanismus seit über 2.500 Jahren – natürlich ohne Rabattcodes, dafür aber mit erstaunlicher Präzision.
Sie stellt zwei einfache Fragen:
- Warum leiden wir?
- Und wie können wir aus unseren unheilsamen Mustern aussteigen?
Die Antwort beginnt mit einer einfachen Einsicht:
Wir leiden, weil wir nicht klar sehen.
Unsere Wahrnehmung ist verzerrt – im Zen nennt man das „Unwissenheit“.
Aus dieser Verzerrung entstehen viele emotionale Muster. Zwei davon sind besonders grundlegend:
Begehren (Anhaftung) und Abneigung (Widerstand).
- Begehren bedeutet: Wir fixieren uns auf das, was wir mögen, und blenden das aus, was nicht dazu passt.
Beim Beispiel mit der Espresso-Maschine: Ich sehe den Genuss, das Design, das Gefühl von „ich gönn mir was“ – aber nicht den Platz in der Küche, den Preis, den Ressourcenverbrauch, die Tatsache, dass ich schon Kaffee kochen kann. - Abneigung ist das Spiegelbild: Wir fixieren uns auf das, was wir nicht wollen.
Wenn wir wütend sind, sehen wir nur noch das Ärgerliche am anderen Menschen oder an der Situation – und verlieren jeden Blick für Nuancen, gute Absichten, Zwischentöne.
Beide verzerren unsere Wahrnehmung:
Begehren und Abneigung begegnen uns übrigens auch als Hindernisse in der Meditation.
Und beide nähren den gleichen Glaubenssatz:
„Mein Glück hängt davon ab, dass ich bestimmte Erfahrungen bekomme – oder andere unbedingt vermeide.“
Von außen betrachtet wirkt das oft wie ein Tanz:
Wir jagen hinter dem her, was wir haben wollen, und wehren ab, was uns bedrohlich erscheint. Mittendrin suchen wir nach Ruhe – finden sie dazwischen aber nicht wirklich.
Zen-Praxis lädt uns ein, diesen Tanz nicht zu verurteilen, sondern bewusst zu sehen: Sitzen, atmen, bemerken:
„Ah, da ist wieder dieses Haben-Wollen.“
„Ah, da ist die innere Abwehr.“
Allein dieses Erkennen ist schon der Beginn von Freiheit.
Vielleicht fragst du dich: Woher kommt dieses Leiden eigentlich, von dem der Buddhismus so oft spricht?
Was sagt der Buddhismus wie Leiden entsteht?
Das Leben ist geprägt durch Leiden. Leiden entsteht durch
– Begehren,
– Ablehnung oder
– Nicht-Wissen.
Oder in der gesteigerten Form: Gier, Hass und Verblendung.
3. Gift in Medizin verwandeln – drei Übungswege
Die gute Nachricht: Mit Begehren und Abneigung lässt sich üben. Sie sind nicht unser Feind, sondern eigentlich Trainingspartner.
In der tibetisch-buddhistischen Tradition werden drei grundlegende Wege beschrieben, mit schwierigen Geisteszuständen zu arbeiten. Du kannst sie direkt auf die nächsten Black-Friday-Angebote oder den nächsten inneren „Das brauche ich unbedingt!“-Moment anwenden.
1. Distanzieren – den Zauber brechen
Wenn Begehren stark wird, hilft es manchmal, sehr konkret zu werden:
- Wie lange hält diese(vermeintliche) Befriedigung wirklich an?
- Was kostet mich das – mental, finanziell, nervlich, ökologisch, …?
- Wovon lenkt mich dieser Impuls gerade ab, was mir eigentlich wichtiger wäre?
Damit holst du die Aspekte ins Bewusstsein, die dein Geist gerade ausblendet. Oft kühlt das Feuer schon deutlich ab. Manchmal entsteht sogar eine heilsame Ernüchterung: „Eigentlich ist es mir das gar nicht wert.“
2. Transformieren – das Verlangen als Energie sehen
Manchmal ist das Begehren so stark, dass „dagegen an-denken“ nicht hilft. Dann kannst du deine Haltung verändern:
- Statt zu klicken, bleib einen Moment beim Körper.
- Spür die Unruhe im Bauch, das Kribbeln in den Händen, die Bilder im Kopf.
- Ohne Urteil, ohne Drama – einfach registrieren: So fühlt sich Begehren gerade an.
In diesem Moment bist du nicht mehr das Begehren, sondern das Bewusstsein, das es sieht.
Die Identifikation löst sich ein wenig, transformiert sich, und die Energie, die vorher im Haben-Wollen festhing, wird frei. Sie kann in Klarheit, Kreativität oder Mitgefühl fließen.
3. Transzendieren – ins reine Gewahrsein wechseln
Es gibt noch einen dritten Weg:
Statt am Inhalt zu arbeiten (Angebot, Story, Gedanken), wendest du dich direkt dem Raum zu, in dem dies alles auftaucht.
Du kannst dir innerlich sagen:
„All das – Bilder, Emotion, Impuls zum Kaufen – taucht in Bewusstsein auf.“
Und dann ruhst du für einen Moment genau in diesem Bewusstsein selbst.
Nicht im Begehren-Modus, nicht im Widerstand oder der Ablehnung, sondern in der stillen Präsenz, die alles hält.
Aus dieser Perspektive muss das Begehren oder die Ablehnung gar nicht verschwinden.
Es wird einfach zu einer weiteren Welle im Meer.
Einladung zur Praxis
Die nächste Zeit bietet viele Gelegenheiten zu üben – nicht nur am Black Friday: Weihnachts-Shopping, Neujahrsvorsätze, Self-Improvement-Versprechen, all das triggert ähnliche Muster.
Vielleicht magst du dir für die kommenden Wochen eine kleine Praxis vornehmen:
Wenn ein starkes „Das will ich!“ oder „Das will ich nicht!“ auftaucht,
-
- atme dreimal bewusst ein und aus,
- mach dir den Moment bewusst,
- probiere einen der drei Wege: distanzieren, transformieren, transzendieren.
Du kannst dir danach die Fragen stellen:
Was hast du entdeckt?
Wo war es leicht?
Wo war es schwierig?
Vielleicht stellen wir fest:
Die Espresso-Maschine, das neue Gadget, die nächste „Must-have“-Erfahrung – das alles ist gar nicht unser eigentlicher Trainingspartner.
Unser eigentlicher Trainingspartner ist der Geist, der darauf reagiert.
Und genau mit diesem Geist sitzen wir, Atemzug für Atemzug. Meditation ist die Erforschung des Geistes.
Wir sitzen nicht, um anders zu werden.
Wir sitzen, um klarer zu sehen.
Und Klarheit ist immer der Beginn von Freiheit.
