Tagträumen und Mindwandering sind zwei mentale Zustände, die eng beieinander liegen und doch sehr unterschiedlich sind.
Kennst du das? Du sitzt in einem Meeting und dein Geist schweift ab. Plötzlich denkst du über das Abendessen nach, erinnerst dich an einen alten Freund oder planst einen Urlaub, den du vielleicht nie machen wirst. Oder deine Gedanken gehen spazieren und in deinem Kopf entstehen ganze Gespräche – manche davon mit Menschen, die du seit Jahren nicht gesehen hast, oder mit dir selbst.
Das ist Mindwandering – dein Geist springt unbewusst und unkontrolliert von einem Gedanken zum nächsten.
Tagträumen hingegen fühlt sich anders an: Du stellst dir vor, wie es wäre, wenn du ein persönliches Ziel erreicht hast, auf einer sonnigen Insel lebst oder dein großes kreatives Projekt verwirklichst. Du bist vertieft, verlierst dich in einer inneren Welt.
Diese beiden Zustände – Tagträumen (eher bewusst zugelassen oder sogar herbeigeführt) und Mindwandering (eher unbewusst losgetreten, unkontrolliert) – begleiten uns täglich. Doch wie wirken sie auf uns? Und was kann Zen uns darüber lehren?
Tagträumen oder Mindwandering? Wo liegt der Unterschied?
Mindwandering ist oft unbewusst. Der Geist driftet ziellos ab. Erschöpfung oder Stress begünstigen und verstärken dies noch. Dann ist es oft negativ geprägt. Wir springen gedanklich von Sorge zu Sorge, von unerledigten Aufgaben zu längst vergangenen Erlebnissen.
Es passiert meist dann, wenn wir keine bewusste Kontrolle über unsere Gedanken haben. Das kann erschöpfend sein, weil unser Geist nicht zur Ruhe kommt. Sprachlich drücken wir das so aus: „Ich kann keine klaren Gedanken fassen.“ Im Extremfall entstehen ganze Gedankenspiralen und stressverschärfenden Gedanken.
Tagträumen hingegen ist zielgerichteter. Wir lassen uns bewusster darauf ein, zum Beispiel, wenn wir auf einer Wiese in der Sonne liegen und es den Gedanken erlauben wie die Wolken über uns zu entstehen, sich zu verändern und vorbeizuziehen. Es kann eine kreative Kraft sein – du erschaffst mentale Bilder, entwickelst neue Ideen, bzw. neue Ideen entwickeln sich von selbst – oder du entdeckst neue Perspektiven für Probleme.
Es ist oft inspirierend und kann zu echten Erkenntnissen führen. So soll Einstein durch freies Assoziieren in Tagträumen wesentliche Teile seiner Relativitätstheorie entwickelt haben.
Doch es gibt einen Haken: Wenn wir zu viel in Gedankenwelten abtauchen, verlieren wir den Bezug zur Realität. Hier kommt Zen ins Spiel.
Zen und Präsenz: Der Kontrast zum ständigen Gedankenstrom
Im Zen üben wir das Gegenteil von ziellosem Denken: Präsenz. Nur sitzen. Nur atmen. Nur wahrnehmen. – Während unser Geist im Alltag oft zwischen Vergangenheit und Zukunft pendelt, bringt uns die Zen-Meditation in den Augenblick, ins Hier und Jetzt zurück. Wir lernen, unsere Gedanken, unser Denken zu beobachten, statt uns von ihnen forttragen zu lassen. Die Wahrnehmung des Körpers, des Atmens kann dazu der Schlüssel sein.
Zen lehnt Tagträumen nicht ab – ganz im Gegenteil, es kann eine wertvolle Ergänzung sein. Und hilft uns, den richtigen Moment für Tagträumen und den richtigen Moment für Präsenz zu erkennen und zu steuern. Zen ist dabei eine Art bewusstes „Betriebssystem“ unseres Geistes und Tagträumen wäre dann eine Anwendung, eine „App“, die wir auf der Basis dieses Betriebssystems ausführen können. Wichtig dabei: Zen lässt uns immer bewusst sein, welche Apps gerade laufen.
Tagträumen und Kreativität – Wann ist es hilfreich?
Tatsächlich ist Tagträumen eine der wertvollsten Quellen für Kreativität. Viele geniale Ideen entstehen nicht durch konzentriertes Nachdenken, sondern genau in den Momenten, in denen der Geist entspannt und frei assoziieren kann.
- Beim Duschen fällt dir plötzlich eine Lösung für ein Problem ein. Du bist dabei in einem Zustand von viel Wahrnehmung (der warme Wasserstrahl auf der Haut), also sehr präsent.
- Während eines Spaziergangs entsteht eine völlig neue Idee für dein Projekt.
- Beim Nichtstun (liegend auf einer Sommerwiese) kommen dir auf einmal Klarheit und Inspiration.
Das geschieht, weil ein bestimmtes neuronales Netzwerk (das sog. Default Mode Network) im Gehirn aktiv wird – es verknüpft Gedanken, Ideen und Erinnerungen auf neue Weise.
Doch ohne bewusste Präsenz kann Mindwandering ins Ziellose abdriften: statt Inspiration gibt es dann nur kreisende Sorgen, negative Gedankenspiralen, Selbstabwertung oder das Verharren in alten, starren Denkmustern.
Die Balance: Tagträumen und Zen kombinieren
Mit Zen können wir den Modus unserer Gedanken also bewusster erkennen und steuern. Dabei ist es hilfreich, immer wieder auf die Ebene des „Betriebssystems“ zurückzukehren (bewusste Präsenz) und von dort den für die Situation angemessenen Gedanken-Modus (entweder: keine abschweifende Gedanken, Tagträumen oder hoher Fokus …) auszuwählen.
Aber wie lässt sich das praktisch umsetzen? Wie kannst du bewusst zwischen freiem Denken und meditativer Klarheit wechseln?
Bewusstes Tagträumen nutzen: Setze dich an einen ruhigen Ort und lass den Geist bewusst schweifen. Erlaube dir, in Gedankenwelten einzutauchen. Aber mit Bewusstheit, mit Achtsamkeit.
Meditative Klarheit nach dem Tagträumen: Nach einer Phase in der (neue) Gedanken entstanden oder sich Gedanken neu miteinander verbunden haben, weitere Perspektiven hinzugekommen sind – kreatives Denken also –, lass eine Zeit in Stille, in Meditation folgen. So können sich deine Gedanken ordnen und sehen, welche Ideen wertvoll sind. Klarheit entsteht.
So arbeitete Steve Jobs. Er war bekannt für seine ausgedehnten Tagträume und nutzte Zen-Meditation zur Klarheit. Das befeuerte seine enorme Innovationskraft.
Fazit: Präsenz und freies Denken als Schlüssel zur Balance
Tagträumen und Mindwandering sind keine Feinde der Meditation – sie können sogar wertvolle Ergänzungen sein.
Der Schlüssel liegt in der Bewusstheit und in der Balance:
Zen hilft uns, das unruhige, unbewusste Umherwandern des Geistes zu beruhigen. Gleichzeitig hilft es dabei, mit bewusstem Tagträumen Raum für Kreativität und neue Perspektiven zu schaffen.
Beides hat seinen Platz – aber nur, wenn wir es bewusst lenken. Dabei gibt Zen uns das steuernde Betriebssystem.
Stell dir immer wieder bewusst die Fragen:
Womit ist dein Geist gerade beschäftigt?
Wo geht dein Geist hin?
Und was geschieht, wenn du ihn sanft zurückbringst?
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