Die Gehmeditation (im Zen Kinhin genannt) ist eine formale Meditationspraxis neben der Meditation im Sitzen (im Zen Zazen). Gehen ist eine sehr wirksame Methode, um zur Ruhe zu kommen. Gerade dann, wenn man sich sehr unruhig fühlt und kaum still sitzen kann, ist das Gehen eine wunderbare Ergänzung, manchmal auch eine Alternative zur Sitzmeditation.
Die ganze Reise ist in einem Schritt
Manche Menschen finden es weit einfacher, im Gehen statt im Sitzen zu meditieren. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer ist, dass man sich mitunter einfach zu aufgewühlt und rastlos für das ruhige Sitzen fühlt. Wenn man sich dann zur Ruhe bringen will, fühlt man sich oft nur noch ruheloser als zuvor. Daher kann eine Gehmeditation an dieser Stelle durchaus anzuraten sein.
Manche Meditierende benutzen die Gehmeditation auch als Einstimmung für die anschließende Sitzmeditation. Sie gehen fünf oder zehn Minuten und setzen sich auf das Kissen oder Bänkchen, wenn sie sich dafür bereit fühlen.
Oftmals wird angenommen, dass die Gehmeditation einfacher sei als die Sitzmeditation. Das ist jedoch nur bedingt der Fall. Die Gehmeditation erfordert sogar gesteigerte Achtsamkeit, da wir dem Gehen in der Regel so wenig Aufmerksamkeit schenken.
Solange wir keine Schmerzen beim Gehen verspüren oder nicht auf einem Untergrund laufen, der unsere volle Aufmerksamkeit erfordert, sind wir uns des Gehens meist gar nicht bewusst. Daher ist die Tendenz sehr groß, beim Gehen auf Autopilot zu schalten. Die Gehmeditation erfordert daher viel Aufmerksamkeit.
Gehmeditation und Spazierengehen – Nicht das Gleiche
Manchmal ist man sehr versucht, ähnliche Dinge als gleich anzusehen. „Ich gehe gerne im Wald spazieren. Das ist meine Meditation“, höre ich oft. Im Wald spazieren gehen ist eine schöne Sache. Man bewegt sich, frische Luft, ist in der Natur. Aber ist das auch Meditation?
Beim Spazierengehen lässt man sich eher treiben, hat einen Ausgangspunkt und ein Ziel. Die Gedanken und Ideen sprudeln nur so. Oder wir beschäftigen uns bewusst mit einem Thema. Denken nach. In der Antike ist eine ganze Philosophenschule (die Peripatetiker) nach dieser Art des Gedankenentwickelns im Umherwandeln benannt.
Aber ist das auch Meditation? Nein. Ist es nicht. Eine Qualität von Meditation ist es, im Moment zu sein. Im Hier und Jetzt. Wenn wir denken, uns unseren Gedanken überlassen, dann sind wir in der Regel in der Vergangenheit („Wie wäre das gewesen, wenn ich damals anders gehandelt hätte?“, „Warum ist das so gelaufen?“, …) oder in der Zukunft („Wie könnte ich das Problem XY lösen?“, „Was passiert wohl, wenn ich mich so oder so verhalte?“, …).
Wenn wir uns unseren Gedanken überlassen oder aktiv und mit dem Verstand nach Lösungen suchen, dann sind wir gerade nicht im Moment. Und dann hat das Spazierengehen auch keine meditative Qualität.
Nur im Moment haben wir Zugang zu unserer Wahrnehmung, können spüren, Empfindungen im Außen (der Weg, Steine, Luftzug, Licht, Schatten, Gerüche, Geräusche, das Knistern unter den Fußsohlen, etc.) und im Innen (Körperempfindungen, Stimmungen, Emotionen wie Freude, Traurigkeit, Angst) wahrnehmen. Dann ist uns das alles, sind wir uns selbst bewusst. Wir sind wach für das, was gerade um und in uns passiert.
Die Gehmeditation ist sehr variantenreich
Ob schnell, langsam, extrem langsam, die Gehmeditation wird in sehr vielen Varianten praktiziert. Zum Beispiel auch in der Unterscheidung jeder für sich individuell oder gemeinsam im gleichen Schritt. Oder das natürliche Gehen ohne Bezug zur Atmung im Gegensatz zum Gehen in Verbindung mit einem Atemrhythmus.
Jede Variante hat ihre eigene Herausforderung. Gemeinsam ist allen, das Wahrnehmen des Gehens. Nur Gehen. Ganz bei sich sein. Ganz im Moment sein. Schritt für Schritt.