ZEN und Zeit

ZEN und Zeit

ZEN und Zeit

ZEN und Zeit. Unser Zeitbegriff erscheint uns so selbstverständlich, klar eingeteilt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und doch hat sich das Verständnis der Zeit in der Wissenschaft seit dem 17. Jahrhundert revolutionär verändert.

Unser physikalisch geprägter Zeitbegriff

Für Newton war die Zeit noch absolut. Sie verlief gleichförmig, Sekunde um Sekunde und war unabhängig von Allem. Seit Einstein wissen wir, dass das nicht haltbar ist. Die Zeit ist nicht unabhängig, sie ist abhängig von der Geschwindigkeit mit der wir uns als Beobachter der Zeit bewegen. Und dann vergeht die Zeit auch noch schneller oder langsamer, je nachdem wie viel Masse die Gegenstände in ihrer Nähe haben.

In der Physik wandelte sich unser Blick auf die Zeit von einer Konstanten (Newton) hin zu einer Variablen (Einstein), von einem absoluten zu einem relativen Begriff.

Ob das bereits das Ende der Entwicklung des Zeitbegriffs ist? Einstein selbst formuliert es so:

„Für uns gläubige Physiker hat die Scheidung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer,
wenn auch hartnäckigen, Illusion.“

ZEN und Zeit

Vergangenheit und Zukunft also eine Illusion? Diese radikale Betrachtung kommt der Zeit im ZEN sehr nahe. Dazu ein Text des zeigenössischen ZEN Meisters Shōdō Harada:

Drei Arten von Zeit

Es gibt drei Sorten von Zeit: Es gibt die Zeit, die von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft geht. Es gibt die Zeit, welche von der Zukunft in die Gegenwart, und die, welche von der Gegenwart in die Gegenwart läuft.

Der uns gewohnte Zeitbegriff

Unser Leben, so wie es ist, ist die Zeit, welche aus der Vergangenheit in die Zukunft läuft. Wir werden geboren, wachsen heran, werden langsam älter und sterben dann. Wir alle verstehen diesen Fluss der Zeit von gestern nach heute und morgen.

Die Plan, der auf uns zukommt

Doch das ist nicht alles. Die Zeit kann auch andersherum verlaufen. Wenn man sich einen Plan für das nächste Jahr gemacht hat, dann rückt dieser Plan Tag für Tag immer näher. Der Plan kommt quasi von der Zukunft her auf die Gegenwart zu. Wenn wir also einen Plan haben, dann machen wir Anstrengungen, damit sich dieser Plan erfüllt. Das heißt, dass dieser immer mehr in die Gegenwart rückt.

Diese beiden Betrachtungsweisen beruhen auf einem Dualismus [also auf der Annahme, dass es einen Unterschied zwischen der Gegenwart, dem Jetzt, und der Vergangenheit bzw. der Zukunft gibt] und verhindern die direkte und lebendige Wahrnehmung.

Hier und Jetzt – ZEN und Zeit

Es gibt noch eine dritte Sichtweise, in der die Zeit von der Gegenwart zur Gegenwart hin fließt. Allerdings sind wir uns dessen nicht bewusst. Die direkte Wahrnehmung und das unmittelbare Sein sind in diesem Jetzt zu finden.

Es ist die wahre Essenz des Lebens, die wir dort – im Jetzt – finden. [Und alles andere ist die Illusion von Vergangenheit und Zukunft, von der  Einstein spricht.] Wenn wir arbeiten, dann arbeiten wir vollkommen. Wenn wir lernen, dann lernen wir vollkommen. Wenn wir Zazen üben (Zazen = Sitzen in Meditation), dann sitzen wir vollkommen. Wir sind eins mit dem, was wir gerade tun.

Der Maler kann dies beim Versinken in die Malerei, der Musiker beim Versinken in die Musik erleben. Der Sportler wird eins mit seiner Tätigkeit und vergisst dabei die Gedanken an Zeit.

Die Weite des Universums in einem Punkt

Jetzt ist jetzt. In dieser Zeit, in diesem Jetzt [und nur im Jetzt] können wir die Essenz des Lebens spüren. In diesem Zustand ist der Geist vollkommen klar, hell und strahlend. Ich werde ich, die Zeit wird die Zeit. Das bezieht sich nicht nur auf die Zeit selbst, sondern auch auf den Raum. Hier ist hier.

Das ist die Essenz des Zen. Wenn wir dies so sehen, dann ist die ganze Weite und Unendlichkeit des Universums in diesem einen Punkt. Jetzt.

ZEN und Zeit – Einssein mit dem jetzigen Moment

Dieser jetzige Moment ist der einzige und der ewige. Es ist dieser Schnittpunkt von Zeit und Raum, den wir ganz direkt im Zazen erleben können. Wenn wir nachdenken oder uns über irgendetwas Sorgen machen, dann sind wir getrennt von diesem unmittelbaren Punkt. Sind wir mit ihm eins, vergehen alle Sorgen. Dies ist der einzige Weg zur Befreiung des menschlichen Geistes. Es ist wichtig, dieses tiefe Erleben der Zeit in der Meditation zu erfassen und von dort her die Dinge klar und direkt zu erfahren.

Quelle: Shōdō Harada, „ZEN und Zeit“ und eigene Ergänzungen

Shōdō Harada ist ein zeitgenössischer ZEN Meister der Rinzai Schule des ZEN und Vorsteher des Klosters Sogen-Ji in Okayama, Japan.

Zurück zur Übersicht

Dieser Beitrag wurde unter ZEN abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.