Unsere „Baseline“ – Fortschritt in der Meditation

Baseline - Frosch, der aus einem Kochtopf herausschaut.

Das „Shifting-Baseline-Syndrom“ beschreibt eine schleichende Veränderung unserer Wahrnehmung von „Normalität“. Es ist ein wenig wie das bekannte Beispiel des Frosches im heißen Wasser: Wenn man einen Frosch in einen Topf mit heißem Wasser setzt, wird er sofort herausspringen. Setzt man ihn jedoch in kühles Wasser, das langsam erhitzt wird, bleibt er sitzen, bis es zu spät ist.

Er zieht gewissermaßen seine Vergleichslinie – seine Baseline – über den Zeitablauf immer ein bisschen nach, so dass die Veränderung im Vergleich dazu nicht sehr stark zunimmt. Ein beunruhigendes Bild, nicht wahr? Erkennst Du Dich darin in Deinem Leben auch ein Stückchen wieder? Zum Beispiel in Deiner Meditationspraxis?

Baseline: Gibt es diesen Effekt auch in der Meditationspraxis?

Dieser Effekt kann uns auch in unsere Meditationspraxis begegnen. Manchmal – vielleicht wenn wir die ersten Male Meditation ausprobieren und eine eigene Meditationspraxis beginnen – verspüren wir schnell Fortschritte. Das Sitzen in Stille wird gewohnter, fällt leichter. Das Halten der Aufmerksamkeit, vielleicht auf den Atem, gelingt länger. Die Selbst-Wahrnehmung wird feiner, granularer. Oder wir stellen fest, dass wir uns weniger von Gedanken und Emotionen getrieben fühlen.

Und dann gibt es auch Phasen, wo es sich anfühlt, als stecke man fest. Keine Entwicklung. Kein Fortschritt. Keine „Verbesserung“ der Meditation. – Und das könnte mit dem Shifting-Baseline-Syndrom zusammenhängen. Wir ziehen die Vergleichslinie, an der wir die Qualität der Meditationspraxis messen, immer wieder ein kleines Stückchen nach und bemerken dann kaum Unterschiede. Bei Manchen führt dieses Feststecken zu Frustration. Was sind dann unsere Vorstellungen, wie diese Entwicklung sein sollte?

Was ist Fortschritt in der Meditationspraxis?

Fortschritt – ein Fort-Schreiten – wird vielleicht als Bewegung von A nach B, von einem Anfang hin zu einem Ziel, verstanden. Womöglich auch noch stetig und linear, jeden Tag, jede Meditationsrunde ein Stückchen weiter zum Ziel. – Eine solche Betrachtung ist verständlich. Aber ist sie auch hilfreich? – Eher nicht.

Entwicklung ist nicht linear. Inneres Wachstum erfolgt manchmal in Schüben, nach Zeiten von gefühltem Stillstand oder sogar Rückschritten. Aber auch diese Sichtweise von A nach B steht eher im Weg – im wahrsten Sinne dieser Formulierung (… „steht im Weg“). 

Denn es gibt in der ZEN-Meditation kein Ankommen irgendwo. Es ist immer alles schon da. Wir müssen nicht in B ankommen. Im Anfang ist alles bereits vorhanden. Vielleicht verstellt. Vielleicht erkennen wir es nicht (sofort). Aber es ist da.

Die von A nach B Sichtweise hat noch eine weitere wenig hilfreiche Konsequenz. Sie hat eine Dimension von Ausgangspunkt in der Gegenwart – im Jetzt – und ein Ankommen irgendwo in der Zukunft (B). Das richtet uns dann auf die Zukunft aus und wirft uns aus dem gegenwärtigen Moment heraus, aus dem Jetzt. 

Sein, Entwicklung, Erfahrung, Wahrnehmung, das alles findet nur im Jetzt statt. Leben findet ausschließlich im Jetzt statt. Das ist ganz wesentlich.

Die Zwiebel als Entwicklungsbild

Besser als diese lineare Fortschrittssicht ist die Metapher einer Zwiebel. Die wahrgenommene Entwicklung der – oder in der – Meditationspraxis ist mehr wie das Häuten einer Zwiebel. Schale um Schale wird entfernt und wir entdecken immer mehr den Kern. Er ist schon zu Beginn da. Es gilt ihn zu entdecken, sich zu entfalten. 

Das scheint mir ein stimmigeres Bild von Meditationspraxis zu sein. Es nimmt auch den Druck, etwas erreichen zu müssen.

Anfängergeist hilft

Letztendlich ist dieses Shifting-Baseline-Syndrom eine Wahrnehmungsverzerrung, denn wir verlieren dadurch den ursprünglichen Ausgangszustand. Gegen diese Wahrnehmungsverzerrung hilft ein weiteres wesentliches Element im Zen: der Anfängergeist.

Der Anfängergeist soll uns immer wieder frisch und von Neuem mit der Meditationspraxis beginnen lassen. Alle Erfahrungen und Vorstellungen beiseite räumen und wieder ganz neu beginnen. Dann sind nicht Fragen wie: „Wo stehe ich in meiner Praxis?“, „Welche Erfahrungen habe ich nicht schon alles gemacht?“, „Worauf kann ich jetzt aufbauen?“. – Es bleibt nur die Frage: „Wie ist es heute, jetzt?“ Nur darum geht es. 

Unsere „Baseline“ ist immer das Jetzt. – Welche Temperatur hat das Wasser jetzt, wenn ich der Frosch bin. Nicht, wird es wärmer? Oder war es kälter? Wie ist die Temperatur jetzt? Und was ist jetzt zu tun? Handeln aus dem Jetzt. Das ist Zen.

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