Sinnsuche und ihren enormen Einfluss auf unser Leben wird an dem Beispiel von Thomas deutlich. Er hatte alles erreicht, was man sich wünschen kann: eine glänzende Karriere, ein schönes Zuhause, eine Familie mit drei Kindern, finanzielle Sicherheit. Er war der Inbegriff von Erfolg – leistungsstark, pflichtbewusst, fokussiert. Doch mit dem Auszug seiner jüngsten Tochter begann etwas in ihm zu bröckeln. Was übrig blieb, war Leere. Orientierungslosigkeit. Die Frage: „Wofür lebe ich eigentlich jetzt noch?“
Wofür es sich zu leben lohnt
Thomas’ Geschichte ist kein Einzelfall. Ähnliche Geschichten begegnen mir sehr häufig im Coaching. Sie spiegelt eine Erfahrung, die viele Menschen früher oder später machen – besonders dann, wenn äußere Lebensaufgaben erfüllt sind. Und sie lädt ein, tiefer zu schauen: Was gibt dem Leben Sinn, wenn die sichtbaren Ziele erreicht sind?
Oder wie es Fjodor Dostojewski formulierte:
„Das Geheimnis der menschlichen Existenz liegt nicht darin, am Leben zu bleiben, sondern etwas zu finden, wofür es sich zu leben lohnt.“
Wenn alles, was uns einst angetrieben hat – Erfolg, Kinder, Karriere, Besitz – an Bedeutung verliert, öffnet sich ein innerer Raum. Ein Raum, der sich zunächst leer und unbequem anfühlen kann. Doch gerade diese Leere ist auch eine Einladung. In der Zen-Praxis nennen wir sie das Nicht-Wissen: ein Zustand, der weder durch Tun noch Denken gefüllt werden muss. Sondern durch Sein, durch Lauschen.
Vom Außen ins Innen beginnt die Sinnsuche
Leistung und Produktivität wird in der beruflichen Welt sehr hochgehalten. Da fällt es schwer, innezuhalten. Wir haben gelernt, zu funktionieren – nicht zu fragen. Doch je länger unser Leben dauert, desto drängender wird die Frage nach dem „Wozu“.
Der Psychiater und Holocaust-Überlebende Viktor Frankl erkannte:
„Das Leben hat nur dann Sinn, wenn wir ihm selbst einen Sinn geben.“
Nicht äußere Umstände bestimmen unseren Lebenswert, sondern die innere Haltung, mit der wir ihnen begegnen. Menschen mit einem starken Gefühl für Sinn – so Frankl – überleben Krisen besser, finden Orientierung, wo andere aufgeben.
Hedonia oder Eudaimonia?
Schon Aristoteles unterschied zwischen momentaner Freude (Hedonia) und einem tief erfüllten, stimmigen Leben (Eudaimonia). Zen lädt uns ein, beides zu würdigen: den einfachen Geschmack des Tees – und die tiefe Sehnsucht nach innerer Wahrheit.
Ein gutes Leben entsteht eben nicht nur durch das Aneinanderreihen angenehmer, spaßiger Momente, sondern durch gelebte Tiefe, durch ein Gewahrsein, das uns mit der Welt verbindet.
„Wohlbefinden besteht aus mehr als nur kurzen Glücksmomenten. Es geht darum, unser Potenzial zu verwirklichen und sicherzustellen, dass unser Leben sinnvoll war.“
– Aristoteles (sinngemäß)
Wer bin ich – jenseits aller Rollen?
Thomas spürt, dass er sich neu erfinden muss – oder besser gesagt: sich neu entdecken. Seine Sinnsuche ist im vollen Gang. Vieles kommt dadurch in Bewegung. Prioritäten verschieben sich. Neue Klarheit und Orientierung entstehen.
Zen sagt: Du bist nicht deine Geschichte. Du bist nicht dein Beruf, nicht dein Elternsein, nicht dein Besitz. Aber wer bist du dann?
Die stille Meditation lädt ein, dieser Frage Raum zu geben. Ohne sofortige Antwort. Ohne Ziel. Nur mit einem offenen Geist und einem offenen Herzen diese Frage in den leeren Raum entlassen und abwarten, was sich zeigt, was sich daraus entwickelt.
Welche Rolle spielen die anderen?
Desmond Tutu bringt diese Komponente in die Überlegung ein:
„Der Sinn des Lebens ist es, für andere zu leben.“
Je weiter Thomas in seiner Reflexion geht, desto klarer wird: Sinn entsteht im Mit-Sein. In der Verbundenheit mit anderen. Im Dienst an etwas, das größer ist als das eigene Ego. Auch das ist Zen: Nicht Rückzug in Isolation, sondern ein Erwachen, das die Anderen miteinschließt.
Eine Einladung
Vielleicht bist du auch an einem Punkt im Leben, an dem alte Ziele verblassen. Vielleicht taucht in dir – ganz leise – die Frage auf: Was trägt mich wirklich? – Was trägt mich wirklich weiter?
Dann lade ich dich ein:
Setze dich. Atme. Lausche. Lass dich von der Leere nicht erschrecken. Nutze sie wie eine leere Leinwand. Sie ist kein Abgrund, sondern eine Einladung, ein Tor.
Der Zen-Weg kennt keine vorgefertigten Antworten – aber er bietet einen Raum, in dem echte Fragen willkommen sind.
Was ist dein „Wozu“? Was wird dein „Wozu“ morgen sein?