Achtsamkeit und Entspannung
Zwischen Achtsamkeit und Entspannung wird häufig nicht unterschieden. So als wären es synonyme Begriffe. Da lohnt ein genauerer Blick.
Ein Schüler fragte den Zen Meister Ikkyu, was das Wichtigste im Leben sei. Der Meister antwortete: Achtsamkeit. Und was ist das Zweitwichtigste? Wieder war die Antwort des Meisters: Achtsamkeit. Ungehalten wollte der Schüler nun auch das Drittwichtigste im Leben wissen. Wieder war die Antwort: Achtsamkeit.
Geht man heute durch eine Buchhandlung, dann meint man, dass die Antworten des Zen Meisters Ikkyo aus dem 15. Jahrhundert dort angekommen sind. Das Angebot rund um Achtsamkeit erschlägt. Ganze Areale in den Buchhandlungen werden freigeräumt für Angebote zum „achtsamen Backen“, „achtsam Häkeln“, „Achtsamkeit und Entspannung“ oder Malbücher für Erwachsene mit der Überschrift „Zen zum Ausmalen“.
Ist das die Form der Achtsamkeit, die der Zen Meister meinte? Natürlich nicht. Achtsamkeit wird heute als Mittel gegen Stress, als Entspannungs-Technik verkauft.
Stressbekämpfung als Ziel
In Kurzform lautet die Argumentation etwa so: Du hast Stress. Der Stress stört und schränkt Dich ein. Du solltest etwas gegen den Stress tun. Das Ziel ist eine optimierte Leistungsfähigkeit. Die Lösung ist Entspannung durch Achtsamkeit. Diese Sichtweise ist sehr vom Ziel her gedacht und macht Achtsamkeit zu einem Instrument, welches auf die Zielerreichung, auf die Zukunft gerichtet ist.
Achtsamkeit in der 2.500 Jahre alten Tradition des ZEN und des Buddhismus ist aber gerade nicht auf die Zukunft gerichtet, sondern radikal auf den gegenwärtigen Augenblick, auf das Hier und Jetzt.
Der Legende nach wurde Buddha von einem Bauern gefragt, wie er seine vielen Probleme (Stress …?) lösen kann. Buddha antwortet, dass er ihm nicht helfen könne. Alle Menschen hätten 82 Probleme und er könne nur bei dem 83. Problem helfen. Auf die Frage, welches denn dieses 83. Problem sei, meinte er: Das ist das Problem, dass Menschen keine Probleme haben wollen.
Akzeptieren, was ist
Wenn wir also aufhören könnten, mit alle den Problemen ein Problem zu haben, dann hätten wir ein großes Problem gelöst. Nein, das ist keinesfalls zynisch gemeint. Wir würden dadurch einen großen Widerstand aufgeben, der viel Kraft kostet, annehmen was jetzt tatsächlich ist und einen Raum für Entwicklung und Veränderung schaffen, ohne ewig einem Zukunftsziel entgegenzuhecheln.
Und dazu passt des „Paradoxon der Veränderung“ von Arnold Beisser:
„Veränderung geschieht, wenn jemand wird, was er ist, nicht wenn er versucht, etwas zu werden, das er nicht ist.“
Achtsamkeit ist nicht Entspannung – kann aber dazu führen
Hier liegt dann auch der Unterschied zwischen Achtsamkeit und Entspannung. Während die Entspannung sich auf das Ziel eines noch nicht vorhandenen Zustandes richtet (keinen Stess mehr), wendet sich die Achtsamkeit dem gegenwärtigen Augenblick zu. Methoden, die auf ein Ziel hin orientierte sind, vermitteln, dass der gegenwärtige Zustand nicht richtig sei und es gilt, einen besseren zu erlangen. Achtsamkeit hingegen ist die Botschaft, dass der gegenwärtige Zustand erst einmal so ist wie er ist.
Einfacher gesagt: Anstatt ständig einen anderen Zustand in der Zukunft im Kopf zu haben und Energie dafür aufzuwenden, wäre Achtsamkeit ein sich einlassen auf die jetzige Situation, den jetzigen Augenblick. Etwa so: Da wo du bist ist es zwar nicht gut, aber lass dich mal darauf ein. Und dann wird es besser!
Achtsamkeit ist also kein Instrument, um etwas zu erreichen. Sondern eine Haltung, die einen Raum schafft, indem sich etwas verändert oder etwas entsteht, unter (vielem) anderem eben auch Ruhe, Gelassenheit, Umgang mit Problemen und … Entspannung.
Und so funktioniert Achtsamkeit.