Erfahrungsbericht: Was bringt Meditation?
Christine Dohler wollte mehr Sinn in ihr Leben bringen – und fand einen ZEN-Leherer. Seit sie jeden Morgen meditiert, hat sich in ihrem Alltag viel verändert: Sie ist aufmerksamer, konzentrierter und sanftmütiger geworten und kommt sich selbst jeden Tag ein Stück näher.
Oft genug rauscht der Alltag einfach so an uns vorbei. Wie können wir es schaffen, die Dinge mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten, um mehr Achtsamkeit und Ruhe in unser Leben zu kriegen? Unsere Autorinnen haben zwei verschiedene Techniken ausprobiert:
Ich werde oft gefragt: „Woher nimmst du die Disziplin, jeden Morgen 45 Minuten zu meditieren?“ Dahinter steckt die Annahme, ich müsse mich auf die Meditationsmatte zwingen. Doch ich wache schon froh auf, weil der Tag mit Zen beginnt. Vor drei Jahren hatte ich das Gefühl, dass es noch mehr im Leben geben muss – jenseits vom passenden Job und dem richtigen Partner. Obwohl mein Leben gut war, hatte ich das Verlangen, einen tieferen Sinn zu entdecken. Damals fiel mir das Buch „Hör auf zu denken, sei einfach glücklich“ des deutschen Zen-Meisters Hinnerk Polenski in die Hände. Ich ging zu einem seiner Vorträge und erfuhr, dass der Zen-Buddhismus ursprünglich aus China stammt und sich in Japan fortentwickelte. Die Härte, mit der Zen bis heute in Japan praktiziert wird, wäre für uns Europäer wohl zu schwer: Sie beinhaltet extrem lange Sitzzeiten in zugigen Meditationshallen und erbitterte Strenge.
Hinnerk Polenski wurde auf die traditionelle Art in Japan ausgebildet, hat sie aber mit seiner eigenen Linie „Daishin Zen“ auf Europa zugeschnitten. Ich beschloss, bei ihm in die Lehre zu gehen. Dazu besuchte ich ,Sesshins‘, einwöchige lntensivmeditations-Seminare, bei denen man unter Anleitung stundenlang in der Gruppe meditiert, größtenteils schweigt und Achtsamkeit in jedem Moment übt – beim Essen, Gehen, Aufräumen. Jeden Tag führt man außerdem ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Zen- Meister, in dem er einem Atemübungen aufgibt oder eine Frage bestimmt, über die man meditieren soll. Er ist fordernd, aber auch mild.
Wer ich wirklich bin
Immer wieder bestärkt er mich und erinnert mich daran: „Unabhängig von allem, folge dem Weg deines Herzens!“ Ich habe das Gefühl, er sieht mich, wie ich wirklich bin. Durch das starke gegenseitige Vertrauen wachsen mir langsam Flügel. Mit meinem Zen-Meister an meiner Seite bin ich furchtloser und selbstbewusster geworden. Ich lerne vor allem, mich nicht mit meinen Gedanken zu identifizieren, sondern zu ergründen, wer ich wirklich bin – jenseits aller Denkmuster, Fassaden und gesellschaftlicher Zwänge. Immer mehr habe ich ein Gefühl dafür, was der Satz ,Das ist alles nur in meinem Kopf“ bedeutet. Was zählt, ist der Augenblick. Es klingt zunächst abstrakt, wenn man die eigene Mitte finden oder innere Kraft aufbauen soll. Doch irgendwann fühlt es sich plötzlich danach an. Einfach so. Jeden Morgen um 7 Uhr setze ich mich seitdem auf meine Meditationsbank, noch im Nachthemd. Es gibt in meiner Wohnung einen festen Platz, an den ich jederzeit gehen kann. Gleich neben meinem Bett liegt die schwarze, quadratische Zenmatte mit dem Holzbänkchen. Regungslos spüre ich dort in mich hinein, beobachtete meinen Atem. Versuche, alles andere zu lassen. Nichtstun. Ich versuche, der Himmel zu sein, über den die Wolken hinwegziehen. Anfangs gelang das nur zehn Minuten, oft tobte dabei ein Gedankensturm. Und doch blieb ich dran, was verwunderlich für mich ist. Ich bin ein Kurzstreckenläufer, kein Marathon- Fan. Angetrieben hat mich eine innere Sehnsucht, motiviert hat mich der Blick in die Augen meines Lehrers und anderer erfahrener Schüler. Ich habe da etwas gesehen, das für mich Sinn ergibt: wahres Glück, Freude, Erfüllung. Aber nur weil es nun Zen in meinem Leben gab, gelangte ich nicht mit einem Donnerschlag zur Erleuchtung, zum Glücksflash oder zur totalen Gelassenheit. Langsam jedoch, Schritt für Schritt änderte sich etwas in meinem Alltag. Der Zen-Weg hat kein Ende, er bedeutet lebenslanges Training. Was Zen genau ist, kann man schwer beschreiben. Es ist keine Religion, kein Dogma, schon gar kein esoterischer Selbstfindungskram. Für mich ist es sehr pragmatisch: einfach ausdauernd meditieren – daraus entsteht alles. Vor allem ein authentisches Leben. Ich lerne, meinen Geist zu beruhigen, ins Leben zu vertrauen, mein Herz zu öffnen, Klarheit und Energie für den Alltag zu sammeln. Vor allem aber wirklich zu verinnerlichen, was vom Dalai Lama bis zum Küchenkalender alle predigen: Das Glück ist nie im Außen zu finden. Unheilsame Gefühle entstehen durch Verstrickung der Gedanken. Ich lerne, wie mächtig ich bin: Ich kann mein eigener Glücksbringer sein.
Jetzt lieber Hängematte als Meditationsbank
Natürlich fliegt mir das alles nicht zu, es braucht langes, konsequentes Sitzen, ohne Kompromisse. Schon oft kämpfte ich mit dem Teil von mir, der sagt: Jetzt lieber Hängematte als Meditationsbank, ich brauch doch auch mal Urlaub. Aber dann erinnere ich mich an den Wert des Ganzen: ein bewusstes Leben. Ich nutze die wachsende Verbundenheit mit mir, die Aufgeräumtheit und die zunehmend sensible Wahrnehmung ganz praktisch im Alltag. Mir fällt es leichter, Entscheidungen zu treffen. Ich nehme mir mehr Zeit für mich. Freundschaften lösen sich auf, passendere Menschen kommen. Die Regelmäßigkeit bringt den Erfolg. Ich spüre mich lebendiger, andere stören mich weniger, ich bin seltener launisch. Ich krieche schneller aus emotionalen Löchern. Meine Emotionen sind authentischer, unabhängiger geworden. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas Einfaches mein Leben verändern würde. Stück für Stück, wie beim Häuten einer Zwiebel, bin ich mir selbst nähergekommen. Was könnte es Wertvolleres geben? Und jeder kann es: Augen zu, Rücken gerade, Knie tiefer als die Hüften, nicht bewegen, Gedanken ziehen lassen, Atem beobachten. Zehn Minuten reichen für den Anfang. Es werden von selbst mehr.
(Erfahrungsbericht von Christine Dohler aus Emotion, Oktober 2015, Teil 2)