Für die einen ist es die wirksamste Methode, um Stress im Arbeitsalltag entgegenzuwirken, für andere esoterischer Klimbim. Zumindest liegt Achtsamkeit derzeit voll im Trend. Was bringt’s?Auch Manager mögen Meditation. Spätestens seitdem die globale Wirtschaftselite bei ihrem Jahrestreffen in Davos frühmorgens mit der Iso-Matte unterm Arm zusammenkommt, um sich beim besinnlichen Atmen für den Terminmarathon fit zu machen, hat das Schlagwort Achtsamkeit auch in Chefetagen Konjunktur. Seminare bei Achtsamkeits-Trainern sind gefragt, und zur Vertiefung der Übungen gibt es natürlich längst auch die richtige App auf Smartphone oder Tablet: Einschalten zum Abschalten – dabei sollte die Technik eigentlich außen vor bleiben. Aber es gibt keine allgemein anerkannte Definition des Begriffs Achtsamkeit, es gibt nur unterschiedliche Lehrmeinungen.
Als eine Koryphäe der Zunft gilt jedoch Jon Kabat-Zinn, der auch die globale Elite in den Schweizer Alpen coacht. Für ihn beinhaltet Achtsamkeit, „auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen“. Ziel sei vor allem in Kontakt mit sich selbst zu kommen. Der amerikanische Medizinprofessor Kabat-Zinn ist Begründer des Stressbewältigungsprogramms durch Achtsamkeit, einem weltanschaulich neutralen Training, das vom Buddhismus und der Zen–Meditation inspiriert ist. Eine halbe Stunde Atemübung auf der Yoga-Matte, und der härteste Arbeitstag kann kommen!
Kritikern missfällt die gegenwärtige Kommerzialisierung der Achtsamkeitsbewegung. Sie führe die buddhistische Tradition ad absurdum, denn schließlich gehe es nicht darum, die Leistungsfähigkeit von Managern zu steigern. Auch medial erfährt das Thema einen Hype und füllt viele Zeitungs- und Magazinseiten sowie Fernsehsendungen. Unzählige Bücher beschäftigen sich damit, und es gibt Trend-Magazine wie „Flow“ und „Happinez“ rund um Achtsamkeit, Entschleunigung und Müßiggang. Verfechtern der Achtsamkeitsmeditation fühlen sich dadurch in die esoterische Ecke gestellt. Dabei handelt es sich um eine mittlerweile auch wissenschaftlich anerkannte Entspannungstechnik. Sicher ist es aber nicht für jeden die passende Methode zur Stressbewältigung. Eine gewisse Offenheit und Aufgeschlossenheit ist hilfreich, sonst lassen sich Erfolge kaum erzielen.
„Achtsames Sitzen“ und „achtsames Tee trinken“
Ulrike Wenisch hat eine einjährige Ausbildung zur Trainerin für Achtsamkeit am Arbeitsplatz (TAA) gemacht. Sie wirbt dafür, sich mehrmals täglich kleine Auszeiten zu nehmen. „Achtsames Innehalten“, „achtsame Körperwahrnehmung“, „achtsames Sitzen“ oder „achtsames Tee trinken“ seien kleine Übungen, die nur ein paar Minuten dauern und so konzipiert sind, dass sie überall möglich seien. Die Übungen dienten dazu, sich bewusst eine Pause zu nehmen, runterzufahren und sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren. Letztendlich gehe es darum, aus dem täglichen Hamsterrad der Verpflichtungen immer wieder auszusteigen, um mit Stress besser umgehen zu können.
Wenisch hat das Thema schon vor einigen Jahren für sich entdeckt. Der Frankfurterin ging es nicht nur darum, selbst besser mit Stress umzugehen, sondern auch darum, mehr Zufriedenheit im Leben zu erreichen und mit Gefühlen und Gedanken besser umzugehen, sagt sie: „Wir bewerten automatisch alles, was wir tun und was geschieht. Dabei sind 90 Prozent aller Bewertungen unnötig, sorgen für Konflikte und rauben Energie.“ Es reiche, Dinge erst mal so wahrzunehmen, wie sie sind. Stelle sich eine Situation als untragbar dar, könne man im nächsten Schritt über Veränderungen nachdenken oder lernen damit umzugehen.
Viele Führungskräfte in Unternehmen tun sich mit dem Thema Achtsamkeit am Arbeitsplatz aber noch schwer. Zu sehr haftet ihm das Image von Esoterik und Wollsocken an. „Ich kann es verstehen, ich war selbst anfangs skeptisch“, sagt Justus Ludwig vom Düsseldorfer Beratungsunternehmen „performance up“. Er war zwanzig Jahre in Vertriebs- und Führungspositionen tätig, bevor er beruflich umschwenkte und heute Unternehmen zum Thema Achtsamkeit coacht. Wegen gesundheitlicher Probleme begann er sich vor rund 14 Jahren mit Stressreduktion und Achtsamkeit zu beschäftigen. Überzeugt hat Ludwig letztendlich die Wirkung. Er konnte wieder Spaß und Freude an der Arbeit haben und merkte, dass er nicht nur funktionieren muss.
„Hilfreich bei Stress: Aber keine Wunderpille“
Zweifelnde Manager und Trainingsteilnehmer versucht Ludwig mit seiner eigenen Biographie zu überzeugen. „Wenn die Leute merken, da steht einer, der einen Anzug trägt und der weiß, wie das ist, wenn man am Tag 300 Mails kriegt, dann nehmen sie einem das ab.“ Er will vermitteln, dass es möglich ist, mit kleinen Interventionen im Arbeitsalltag Stress abzubauen. Ludwig warnt jedoch auch vor überzogenen Erwartungen: „Achtsamkeit ist keine Wunderpille oder ein Allheilmittel, sondern erfordert persönliches Engagement.“ Schnell merkten die Teilnehmer der Trainings, dass diese keine Wellnessveranstaltung seien.
„Wenn man es ernsthaft betreibt, geht es ans Eingemachte, weil man wieder lernt, sich auf sich selbst zu konzentrieren und die Selbstwahrnehmung zu trainieren.“ Weil dabei auch schwerwiegende, unterdrückte Konflikte nach oben gespült werden können, warnen Mediziner psychisch labile Personen vor unbetreuten Einzeltrainings. Auch mit einem Tages- oder Wochenkurs ist es in der Regel nicht getan.
Konzipiert wurde das TAA-Training, nach dem Wenisch und Ludwig arbeiten, von Cornelia Löhmer und Rüdiger Standard vom Bildungsinstitut Giessener Forum. Sie gehörten vor rund 15 Jahren zu den ersten, die Achtsamkeit im Beruf in Deutschland zum Thema machten. Die Grundlagen ihrer Methode erlernten sie unter anderem am Center for Mindfulness von Jon Kabat-Zinn. Löhmer erklärt den aktuellen Hype damit, dass die Hirnforschung mittlerweile die durch Achtsamkeitsübungen bewirkten Veränderungen im Gehirn mittels technischer Verfahren empirisch nachweisen konnte. Das habe auch viele Skeptiker überzeugt. Das erfreut Löhmer einerseits, andererseits tummelten sich nun auch viele unseriöse Anbieter am Markt, die etwa Erfolge durch Schnellkurse versprächen.
Achtsamkeitsübung im Firmenwagen
Heike Bordin-Knappmann hat die Methode überzeugt. Die Personalentwicklerin von Ista aus Essen bot Mitarbeitern aus dem Vertriebsaußendienst ein freiwilliges Achtsamkeitstraining bei Ludwig an. Die überwiegend männlichen Mitarbeiter, die hauptsächlich Neukunden für das Energie- und Messtechnikunternehmen gewinnen sollen, waren im Vorfeld allerdings skeptisch. Der Trainer konnte aber den Großteil überzeugen, sagt Bordin-Knappmann. „Dass er selbst im Vertrieb gearbeitet hat, war entscheidend.“ Letztlich machten fast alle mit.
Um das Training für die Vertriebsmitarbeiter zu gestalten, ließ sich Ludwig erst einmal den Arbeitsalltag und die Bedingungen erklären. Die Außendienstler verbringen ihre Arbeitszeit im Auto, beim Kunden und im Homeoffice – ein Büro im klassischen Sinn haben sie nicht. Neben drei halbtägigen Präsenzmodulen bot Ludwig deshalb auch begleitend über einen Zeitraum von etwa zwölf Wochen ein regelmäßiges Telefoncoaching außerhalb der Kernarbeitszeit an, zu dem sich die Mitarbeiter eines Teams gleichzeitig einwählen können. „Das Angebot nehmen so gut wie alle wahr und empfinden es als sehr hilfreich“, berichtet Bordin-Knappmann.
Auf die Ista-Mitarbeiter individuell zugeschnitten ist auch eine Übung, die im Firmenwagen stattfindet. Die Mitarbeiter sollten herausfinden, wo im Auto sie diese am liebsten durchführen wollen – auf dem Fahrersitz, auf der Rückbank, auf dem Auto oder außerhalb des Autos. „Ein Mitarbeiter sitzt am liebsten im Kofferraum und lässt die Beine baumeln“, sagt Bordin-Knappmann.
Erfolg lässt sich nicht an Zahlen festmachen
Mit der vorläufigen Bilanz zeigt sich die Personalentwicklerin sehr zufrieden: „Es kam bereits zu positiven Veränderungen, sagen die Teilnehmer.“ An steigenden Verkaufszahlen sei das schwer festzumachen. Aber für sie sei es schon ein Erfolg, wenn die Mitarbeiter selbst merkten, wenn sie gestresst seien und sich dann selbst regulierten: „Eine Teilnehmerin berichtete mir, sie mache jetzt vor jedem Kundengespräch eine Achtsamkeitsübung.“
Heike Bordin-Knappmann wählte die Außendienstler als erste Coaching-Teilnehmer aus, weil diese bei den regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen die schlechtesten Erholungswerte aufwiesen. Bislang nahmen 35 Ista-Mitarbeiter an vier Standorten an dem Training teil. Bordin-Knappmann würde das Coaching gern auf weitere Abteilungen und auf Führungskräfte ausweiten. Sie weiß aber, dass sie gerade im Management noch einige Überzeugungsarbeit leisten muss.
FAZ, 18.03.2016, von Sabine Balk
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