HARA – Die Energie-Mitte des Menschen

Hara - Die Energie-Mitte des Menschen; Kraft aus dem Bauch; in Meditationshaltung sitzend, die Hände vor dem Bauch, dem Hara.

Hara – Die Energiemitte des Menschen … oder die Kraft aus dem Bauch. Alle meditative Praxis erfordert, soll sie gelingen, eine bestimmte Gesamtverfassung. Und dabei ist der Körper ganz zentral. Diese ist bestimmt durch drei Faktoren: die rechte Haltung, den rechten Atem und die rechte Spannung.

Die Begriffe Haltung, Atem, Spannung betreffen nicht nur den Körper, den man hat, sondern in erster Linie den Körper, der man ist, d. h. den Menschen als Person, die sich selbst in einer bestimmten Haltung, in einem bestimmten Atem und in einer bestimmten Spannung erlebt. Die rechte Haltung, der rechte Atem, die rechte Spannung hängen von einem ihnen gemeinsamen Zentralfaktor ab: dem rechten Schwerpunkt, dem Hara.

Je mehr der Mensch im Hara zentriert ist, umso leichter fällt ihm die Präsenz im Hier und Jetzt. Er ist das Gegenteil von zerstreut – er ist versammelt.“ 
Karlfried Graf Dürckheim

Die Bedeutung von Hara

Hara bedeutet in einer einfachen Übersetzung zunächst nur „Bauch“. Als Begriff in der japanischen Kultur hat Hara allerdings eine weitreichendere Bedeutung. Karlfried Graf Dürckheim – ein Pionier des Zen in Deutschland – beschreibt es so:

„Hara ist zunächst ein bestimmter Bereich des Körpers, nämlich der Bauch-Becken-Raum, die ‚Leibesmitte‘, mit dem Mittelpunkt ein wenig unterhalb des Bauchnabels. Es bezeichnet jedoch nicht nur einen physischen Bereich, sondern auch eine spezifische Verfassung des Menschen. 

Diese besteht darin, dass der Mensch seinen leiblichen Schwerpunkt tatsächlich im Bauch-Becken-Raum hat und als Person in diesem Bereich gut verwurzelt ist. Für eine solche Verwurzelung muss der Bereich sowohl gelöst als auch gefestigt sein. Hara wird als die Energiemitte des Menschen und dessen ‚Wurzelgrund‘ beschrieben. Im Hara verwurzelt zu sein, bedeutet, eine gute Erdung zu haben.“

Damit bezieht sich Hara sowohl auf den physischen wie auch auf den energetischen Bereich im Unterbauch, etwa zwei Fingerbreiten unterhalb des Nabels. Im Zen und in anderen Traditionen und in den daraus entstandenen Kampfkunstformen wie z.B. Karate und Aikido wird Hara oft als Zentrum der körperlichen und spirituellen Kraft betrachtet.

Möchte man einige Aspekte von Hara zur Beschreibung und Verdeutlichung herausheben, so ist Hara eine Grundlage für Stabilität und Balance. Die Ausrichtung der Bewegungen um das Hara herum führt zu effizienteren und kraftvolleren Techniken. Oder auch als Zentrum der Lebenskraft (japanisch „Ki“ oder chinesisch „Chi“, wie in Tai Chi oder Ai-ki-do), also den Ort an dem körperliche, mentale und spirituelle Energien konvergieren.

In der Zen-Meditation wird das Bewusstsein auf das Hara als Mittel zur Vertiefung der Meditation und zur Förderung der Achtsamkeit gerichtet. Die Konzentration auf das Hara hilft, den Geist zu beruhigen und einen Zustand tiefer innerer Ruhe zu erreichen. Hara wird auch mit emotionaler Stabilität und Gelassenheit in Verbindung gebracht. 

Die Praxis, sich auf das Hara zu konzentrieren, kann dabei helfen, emotionale Turbulenzen zu beruhigen und einen ausgeglichenen Geisteszustand zu fördern. Die Arbeit mit dem Hara in Meditation und Kampfkünsten fördert eine tiefere Integration von Körper und Geist. Diese Einheit führt zu einer ganzheitlicheren Wahrnehmung des Selbst und der Welt.

Die Praxis des Hara

Um sich im Bauch-Becken-Raum zu verwurzeln und damit den rechten Schwerpunkt zu erlangen, muss der jeweilige Mensch sich selbst ganz bewusst in diesem Bereich seines Körpers niederlassen.

Ein solches Sich-Niederlassen kann am Besten nach und nach in kleinen Schritten vonstattengehen. Es beinhaltet, dass der jeweilige Mensch sich immer wieder neu in jenen Bereich hineinspürt, dass er sich dort jeweils einerseits weich werden lässt, und doch andererseits auch etwas Kraft dort hineingibt, um in diesem Bereich an Festigkeit zu gewinnen.

Körperlich hat ein Mensch, der über Hara verfügt, eine aufrechte Haltung und einen festen Stand. Seine Bewegungen entspringen allesamt der „Erdmitte seines Leibes“ wie es Dürckheim nennt. Sie sind harmonisch und gut koordiniert und weder steif noch schlaff. So erscheint der Mensch mit Hara anmutig. „Er sitzt, steht und bewegt sich mit einer natürlichen Souveränität.“

Seelisch gibt Hara dem Menschen ein positives und stabiles Selbstwertgefühl. Das im Hara verankerte Selbstbewusstsein ist das Bewusstsein eines Selbst, das mehr umfasst und vermag als das bloße Ich. Eine interessante Differenzierung, oder? – Ein solches Selbst kann nicht so leicht irritiert oder verletzt werden, wie das kleine Ich des Menschen. Ein Mensch mit einem nur kleinen Ich und ohne gefestigtes Hara hat hingegen oft einen Minderwertigkeitskomplex und, damit einhergehend, zugleich auch Überwertigkeitstendenzen.

Die Wirkung von Hara

Ein Mensch, der sich im Hara verwurzelt hat, erfährt durch diese Verwurzelung Dreierlei. Erstens erfährt der jeweilige Mensch nun eine neue Standfestigkeit, zweitens erfährt er eine neue Weite und drittens erfährt er eine neue Nähe.

Die neue Standfestigkeit befreit ihn von den Ängstlichkeiten und Eitelkeiten seines Ichs und befähigt ihn stattdessen, in jeder Situation tatsächlich alle in ihm vorhandenen Kräfte und Fähigkeiten einzusetzen. Er vermag nun wirklich aus seiner Mitte heraus zu handeln. Ein solches Handeln aus der Mitte ist zugleich ein Handeln aus der Ganzheit.

Außerdem erfährt der im Hara verankerte Mensch eine Weite des Lebens, in der auch jene Begebenheiten und Erfahrungen von ihm ihren sinnvollen Platz finden, die mit dem begrenzten Verstand nicht zu erfassen sind.

Die Nähe, die der Mensch mit der Verwirklichung von Hara gewinnt, ist ebenfalls eine ganz besondere Nähe zu den Mitmenschen und zu anderen Lebewesen (Empathie), zu den Dingen der Welt und darüber hinaus gemeint . In dieser Nähe fühlt sich der jeweilige Mensch nicht einfach nur von diesem oder jenem aufgenommen, sondern im Leben insgesamt liebevoll aufgehoben und geborgen.

Hara im Alltag

Auf die Frage, wann Hara geübt werden soll, lautet die Antwort: den ganzen Tag. Hara kennzeichnet die rechte Grundhaltung. Es gibt keine volle Wachheit, keine freie Präsenz ohne die Verankerung im rechten Schwerpunkt. Wo immer man steht, geht oder sitzt, schnell oder langsam, aufrecht oder angelehnt: Hara! Im Hara empfängt man Kraft und gibt nicht unnötig Kraft aus.

Das Zazen, die Zen Meditation, ist ein guter Ort, um sich seines Haras bewusstzuwerden, es zu entdecken und zu entwickeln.

Zurück zur Übersicht

Dieser Beitrag wurde unter Meditation abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.