Achtsamkeitsmeditation: Achtsam ist heilsam

Achtsamkeitsmeditation

Achtsamkeitsmeditation: achtsam ist heilsam

Lange wurde die Achtsamkeitsmeditation als Esoterik belächelt, heute setzen selbst Ärzte auf die Meditation. Eine wachsene Zahl an Studien belegt ihren Nutzen bei immer mehr Krankheiten. Doch der Hype lockt auch unerfahrene Anbieter, die nur das schnelle Geld machen wollen.

Man wird sich an die Bilder gewöhnen: Kollegen, die in der Kantine sinnlich an ihrer Bratwurst riechen, als würden sie einen feinen Barolo verkosten. Menschen, die ihre Schirme zusammenklappen, um den Regen auf der Haut zu spüren. Autofahrer, die lächelnd am Steuer sitzen – und die Ruhe des Staus genießen. Und an Ärzte, die ihre Patienten nicht nur operieren, sondern ihnen auch noch Atemübungen verordnen.

Um die Achtsamkeitsmeditation und ihre vielen Varianten ist ein regelrechter Hype entstanden . Coaches bringen gestressten Managern bei, wie sie mit der Methode abschalten, selbst ernannte Experten machen Geschäfte mit Achtsamkeits-Diäten. Ratgeber-Autoren leiten in ihren Büchern dazu an, wie man achtsam kocht, achtsam Kinder erzieht oder sich achtsam mit dem Partner streitet.

Die Achtsamkeitsmeditation ist in der breiten Masse angekommen, als Allzweckwaffe zur Optimierung sämtlicher Lebensbereiche. Gleichzeitig aber wird sie immer ernster genommen: Mediziner und Psychotherapeuten entdecken immer neue Anwendungsgebiete – etwa chronische Schmerzen, Depressionen, Süchte, Essstörungen und sogar Krebs. Was aber kann die Achtsamkeitsmeditation wirklich leisten? Und welche modischen Varianten haben mit der ursprünglichen Idee gar nichts mehr zu tun?

Ursprünglich stammt diese Form der Meditation aus dem Buddhismus, der Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn entwickelte aber in den siebziger Jahren an der University of Massachusetts eine westliche Variante namens Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR). Bei dem achtwöchigen Training beginnen Meditationsschüler meist damit, sich auf körperliche Empfindungen zu konzentrieren. So nehmen sie wahr, dass der Nacken verspannt ist oder der Bauch zwickt. Sie lernen, solche Zustände zu bemerken, aber nicht zu bewerten. Später übertragen sie das auf Emotionen – vielleicht beobachten sie, dass sie Angst haben, steigern sich aber weder in die Furcht hinein, noch versuchen sie, diese zu unterdrücken. Damit schalten sie einen Schritt zwischen Reiz und Reaktion. Wer sich vor einer Präsentation im Job fürchtet oder im Keller einer besonders langbeinigen Spinne begegnet, wird nicht gleich in Panik verfallen, wenn er die neue Haltung beherrscht.

Noch vor einigen Jahren wurde Meditation meist als esoterisch belächelt. „Als ich Mitte der achtziger Jahre mit Schweigemeditation anfing, habe ich lieber nicht darüber gesprochen“, sagt die Hamburger Psychotherapeutin und Achtsamkeitstrainerin Susanne Kersig . Denn die Leute reagierten oft skeptisch, ihr Vater befürchtete sogar, sie werde einer Gehirnwäsche unterzogen. „Bei Vorträgen vor Fachpublikum habe ich immer gleich am Anfang erklärt, dass die Achtsamkeitsmeditation nicht esoterisch ist und man keinen Glauben annehmen muss, um sie zu praktizieren.“

Und auch unter Wissenschaftlern war die Achtsamkeitsmeditation lange nicht anerkannt. „Eigentlich wollte ich meine Diplomarbeit Ende der neunziger Jahre darüber schreiben“, sagt der Psychologieprofessor Matthias Berking von der Universität Marburg. „Aber damals hätte man sich mit einem solchen Thema wissenschaftlich beerdigt.“ Noch vor etwa acht Jahren sei es bei Konferenzen gar nicht aufgetaucht. „Jetzt hat man speziell auf Kongressen der Klinischen Psychologie zuweilen den Eindruck, dass sich jeder zweite Vortrag auf achtsamkeitsbasierte Interventionsverfahren bezieht, vor allem in den USA sind die Kollegen diesbezüglich sehr euphorisch“, sagt Berking.

Studien zeigen inzwischen sogar, wie Meditation die Hirnaktivität verändert: Mithilfe der Elektroenzephalografie (EEG) stellten Wissenschaftler fest, dass während tiefer Meditation zum Beispiel die Wellen im Beta- und Gamma-Bereich stärker und weitflächiger synchronisiert sind als im aktiven Wachzustand – ein Zeichen für intensive Konzentration und Aufmerksamkeit. Bildgebende Verfahren zeigen, dass etwa der orbitofrontale Kortex angeregt wird. Dieses Hirnareal ist wichtig für den Umgang mit Emotionen .

Immer mehr Studien belegen positive Wirkungen auf die Gesundheit

Immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen belegen auch positive Wirkungen auf die Gesundheit. Für eine aktuelle Metastudie nahmen sich dänische Forscher vom Universitätskrankenhaus in Aarhus 21 Untersuchungen zu MBSR vor, also zum Anti-Stressprogramm nach Kabat-Zinn, sowie zur sogenannten Mindfulness Based Cognitive Therapy (MBCT), einer Variante für Depressive. Es zeigte sich: MBSR stärkt die psychische Gesundheit, entspannt Gestresste und beruhigt Angstpatienten. Die Methode verbessert außerdem die Lebensqualität bei vielen Patienten mit körperlichen Beschwerden. Auch wenn die Beschwerden selbst nicht abnehmen, quälen sie weniger.

Den Nutzen der Mindfulness Based Cognitive Therapy, die Elemente aus der Achtsamkeitsmeditation und der kognitiven Verhaltenstherapie vereint, belegt die Metastudie ebenfalls. Demnach bewahrt sie viele ehemalige Depressionspatienten vor Rückfällen. Allerdings wird kritisiert, dass man über die langfristige Wirkung kaum Aussagen treffen könne, weil die Studienautoren die Patienten meist nur kurz beobachteten.

Seitdem Studien die Wirksamkeit der Achtsamkeitsmeditation zeigen, sind auch Krankenkassen daran interessiert. Die meisten zahlen inzwischen im Rahmen der Prävention einen Zuschuss zu MBSR-Kursen. Auch zur Therapie wenden einige Psychotherapeuten und Mediziner die Achtsamkeitsmeditation an. Ärzte können sie zwar nicht verschreiben, aber Patienten können etwa eine Verhaltenstherapie machen, die von der Kasse gezahlt wird, und sich dafür einen Therapeuten suchen, der mit Meditation arbeitet.

Auch die Verhaltenstherapeutin und Achtsamkeitstrainerin Eva Sperger nutzt die Methode. „Gerade für Burn-out-Patienten ist es wichtig, sich selbst wieder wahrzunehmen“, sagt Sperger. Viele hetzen in so hohem Tempo durch den Arbeitstag, dass sie nicht einmal spüren, wenn sie eine Pause brauchen, sich bewegen wollen oder Durst haben. „Nach einer Weile sind sie oft so hibbelig, dass sie es gar nicht aushalten, sich einfach nur hinzusetzen und nichts zu tun.“ Sperger bittet die Patienten, sich ein paar Minuten lang nur auf ihren Atem oder Körper zu konzentrieren. „Vielen ist das unangenehm, aber danach sind sie doch mehr bei sich, und die Stunde wird intensiver.“

Auch bei chronischen Schmerzen, Depressionen und Stress ist eine positive Wirkung der Achtsamkeitsmeditation schon gut belegt.

Die Achtsamkeitsmeditation ist keine Technik, die man schnell mal lernen kann

Andere Patienten aus der Gruppe hatten Kontrollzwänge, also etwa den wiederkehrenden Drang, sich zu vergewissern, dass sie etwas ausgeschaltet hatten. „Durch das Achtsamkeitstraining bekamen sie einen größeren inneren Abstand zu ihren hartnäckigen Vorstellungen und verurteilten sich nicht mehr so hart für diese“, sagt die Studienleiterin Anne Kathrin Külz . Wenn die Probanden dann wieder einmal den Drang verspürten, etwa Elektrogeräte zu kontrollieren, gaben sie diesem nicht automatisch nach, sondern hatten das Gefühl, zwischen mehreren Handlungsmöglichkeiten wählen zu können. Külz plant eine weitere Studie mit mehr Versuchspersonen, um die Ergebnisse zu prüfen.

Manche Ärzte lassen inzwischen sogar Patienten mit ernsten körperlichen Erkrankungen meditieren. In den Kliniken Essen-Mitte behandeln die Ärzte Menschen mit chronischen Schmerzen, Organerkrankungen oder sogar lebensbedrohlichen Leiden wie Krebs. Wer hierherkommt, wird zwar in erster Linie schulmedizinisch therapiert, kann aber zusätzliche Angebote wie Ernährungsberatung oder eben Meditation nutzen. „Wir setzen die Achtsamkeitsmeditation bei allen Patienten ein, denn so lernen sie einen besseren Umgang mit der Krankheit, was ihre Heilungschancen steigen lässt“, sagt die Gesundheitspädagogin Anna Paul. „Stress kann auf Dauer das Immunsystem schwächen. Umgekehrt wird es gestärkt, wenn der Patient entspannt ist.“

Studien legen tatsächlich nahe, dass Achtsamkeitsmeditation das Immunsystem stärken kann. Mediziner der Universität Chicago teilten 75 Brustkrebspatientinnen in zwei Gruppen ein: Die eine Gruppe machte nach der Operation Achtsamkeitsmeditation, die andere nicht. Vor Beginn des Programms war bei allen Frauen die Aktivität von Zellen geschwächt, die mit dem Immunsystem zusammenhängen. Bei den Patientinnen, die regelmäßig meditierten, normalisierte sich die Funktion im Studienzeitraum, bei den anderen nicht.

An den Kliniken Essen-Mitte können Patienten das Training vor und nach Operationen sowie begleitend zu einer Chemotherapie anwenden. Sie änderten dadurch oft ihre Einstellung zur Chemotherapie – „und halten sie besser durch“, sagt Anna Paul. Doch sie stellt klar: „Meditation kann niemals das Mittel sein, mit dem man eine körperliche Erkrankung behandelt. Wir setzen sie begleitend zur Therapie ein.“

In immer mehr Bereichen werden achtsamkeitsbasierte Praktiken inzwischen angewandt, „sie scheinen ähnlich vielseitig wie ein Breitbandantibiotikum einsetzbar zu sein“, sagt der Psychologe Ulrich Ott , der an der Universität Gießen die Wirkung von Meditation erforscht . Seine Erklärung: „Viele psychische Störungen sind mit Unruhe und Ängsten verbunden, und dagegen hilft die Achtsamkeitsmeditation eben.“ Den Wirbel um die Methode betrachtet Ott im Prinzip mit Wohlwollen: „Wenn Wissenschaftler an Universitäten neue Anwendungsbereiche erschließen, werden sie diese in der Regel auch im Rahmen von Studien prüfen.“ Skeptisch steht er dagegen Anbietern gegenüber, die Meditation nur einsetzen, weil sie gerade gefragt ist, und die sie womöglich mit anderen Methoden vermischen. „Da ist der Nutzen fraglich.“

Susanne Kersig beobachtet den Hype ebenfalls kritisch. „Alle wollen dabei sein, auch wenn sie wenig Erfahrung haben.“ Sie erzählt von Therapeuten, die bei ihr einen Wochenendkurs buchen, um das Gelernte an Patienten weiterzugeben. „Die Achtsamkeitsmeditation ist aber keine Technik, die man schnell mal lernen und weitergeben kann, sondern eine Haltung und Form des Seins.“ Wer sich darauf einlassen wolle, solle lange und ernsthaft üben, bevor er unterrichte.

Inzwischen gibt es Versuche einer Qualitätssicherung. Meditationsforscher der Universität Massachusetts haben Richtlinien für Achtsamkeitstrainer festgelegt . Sie sollen etwa langjährige Erfahrung sowohl in Meditation nach buddhistischer Tradition haben als auch in westlichen Methoden wie MBSR.

Vermutlich wollen die Forscher das verhindern, was der Brite Shamash Alidina , Autor des Buchs Achtsamkeit für Dummies , aus der Methode macht. Er bezeichnet sich als „professionellen Achtsamkeits-Berater“ und hatte schon nach seinen ersten fünf Minuten Achtsamkeitstraining ein Erweckungserlebnis, wie er schreibt. Wer Ähnliches erleben will, kann bei ihm den Workshop „Spa für die Seele“ buchen. Oder den Fernkurs per Skype, für den es sogar eine Garantie gibt: „Sie bekommen Ihr gesamtes Geld wieder, wenn Sie nach der ersten Stunde nicht glücklich sind.“

Von Susanne Schäfer, in DIE ZEIT: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/01/Meditation-auf-Rezept/komplettansicht

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