Ungewissheit

ungewissheit

Ungewissheit mögen wir nicht. Wir mögen es lieber sicher, gewiss, berechenbar oder vorhersehbar. Mit Ungewissheit verbinden wir sehr oft Unsicherheit. Und diese Unsicherheit lässt viel Platz für Angst, Sorge und große Vorsicht.

Ungewissheit oder konstruierte Gewissheit

Dabei ist die Ungewissheit der Normalzustand. Wie oft im Leben wissen wir genau, was passieren wird? – Also nicht, was wir glauben, was passieren wird. Wie wir uns die Zukunft zurechtkonstruieren. Sondern wirklich sicher wissen, was die Zukunft bringt?

Diese konstruierte Gewissheit, das Vorgaukeln von Sicherheit, ist nicht wirklich nahe dran an der Realität. Ungewissheit ist der Normalzustand, auch wenn wir das nicht attraktiv finden und die Gewissheit suchen.

Das letzte Jahr war dazu eine besonders lehrreiche Zeit. Wie schnell und wir gerne sind wir doch auf den Zug der abnehmenden Inzidenzzahlen im vergangenen Sommer aufgesprungen. Waren dabei im Denken ganz linear unterwegs und haben aus den Tagen und Wochen, die hinter uns lagen, eine Zukunft mit weniger Ansteckungen konstruiert.

Und wie war dann das Gefühl, als wir uns eingestehen mussten, dass die Welt sich eben nicht linear vorhersehbar, sondern ungewiss und chaotisch entwickelt. Da wich diese vermeintliche Sicherheit wieder der Ungewissheit.

„Das erste, was entsteht, wenn wir uns einander öffnen, ist ein großer Seufzer der Erleichterung. Wir erkennen, dass wir nicht die Einzigen sind, die sich verwirrt fühlen.“
Pema Chödrön, buddhistische Nonne und Schriftstellerin

Unsicherheit gewinnt keine Wahlen

Wir steuern jetzt auf den Bundestagswahlkampf zu, und die Medien sind voll von Politikern, die versuchen, überzeugt zu klingen. Sie möchten Antworten auf die komplexen Probleme dieser Zeit geben. Natürlich kann niemand ein Experte für alles sein oder die Lösung für alle unsere Herausforderungen haben. Aber Unsicherheit in irgendeiner Frage zu äußern, würde als politischer Selbstmord angesehen werden.

Wir mögen zusammenzucken, wenn wir hören, dass Politiker deshalb wie Besserwisser klingen. Und dennoch ist es eine große Versuchung nach vermeintlich sicheren Antworten zu greifen.

Die Ungewissheit als Quelle

Wie wohl fühlen wir uns in unserem eigenen Leben mit Unsicherheit? Normalerweise ist es kein angenehmer Raum, in dem man viel Zeit verbringt. Doch wie der Sozialpsychologe Erich Fromm geschrieben hat:

„Die Suche nach Gewissheit blockiert die Suche nach Sinn. Ungewissheit ist genau die Bedingung, die den Menschen zur Entfaltung seiner Kräfte antreibt.“

Ungewissheit kann uns für Neugier und Verwunderung öffnen.

Es ist immer wieder erfrischend, wenn einem Lehrer, einem Expertern oder Moderator eine Frage gestellt wird, auf die er die Antwort nicht kennt, und statt in die Defensive zu gehen, öffnet sich sein Gesicht vor Freude, wenn er ausruft: Das ist eine wirklich interessante Frage!

Wenn wir die Ungewissheit als eine Gelegenheit zur weiteren Erforschung betrachten, wird sie zu einem Ort der kreativen Möglichkeiten. Ein Songwriter weiß nicht, wie der Song klingen wird, bevor er mit dem Schreiben beginnt. Genauso wie der Künstler mit einer leeren Leinwand konfrontiert wird. Die Kreativität setzt gewissermaßen das Einlassen auf Ungewissheit voraus. Durch den Tanz von Kreativität und Ungewissheit entsteht wirklich Neues.

Manche Ungewissheiten sind sehr schwer zu ertragen. Zum Beispiel, wenn wir auf die Ergebnisse eines wichtigen medizinischen Tests warten. Oder nicht mehr sicher sind, ob unser Partner mit uns zusammen sein will. Oder wir den Kontakt zu einem Familienmitglied verloren haben. Solche Ungewissheiten können viel Leid verursachen, und wir können jemandem in solchen Situationen nicht einfach eine oberflächliche Zusicherungen geben, dass alles schon gut sein wird.

Tatkraft und Zuversicht – gepaart mit Offenheit

Doch auch unser ganz normaler Alltag ist voller Ungewissheit. Wir wissen nie, was der nächste Moment bringen wird. Wir können darauf reagieren, indem wir vor Angst wie gelähmt sind. Oder wir können ein übermäßiges Selbstvertrauen ausstrahlen und dem nächsten Moment begegnen.

Irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen gibt es die Möglichkeit, mit Tatkraft und Zuversicht zu handeln und gleichzeitig offen dafür zu sein, dass unsere Sichtweise und Lösungen durch neue Erkenntnisse in Frage gestellt werden.

In der Achtsamkeitsmeditation entwickeln wir oft ein größeres Vertrauen in uns selbst, in das Handeln aus unseren Werten und unserem inneren Wissen heraus. Doch in viele Zeiten der Meditation neigen wir dazu, uns für eine scheinbar sehr lange Zeit an Orte der Ungewissheit zu führen. Das kann frustrierend, aber auch befreiend sein.

„Die Stimme der Ungewissheit ist leiser als der dröhnende Klang der pompösen Überzeugung. Was ihr aber an Charisma fehlt, macht sie durch Authentizität mehr als wett.“

Idee zur Achtsamkeitspraxis:

Lasse dich bei deiner nächsten Meditation von der festen Absicht leiten, bewusst in dieser Ungewissheit zu sitzen. Nicht zu wissen und nicht zu konstruieren, was jetzt geschehen wird.

Vielleicht gibt es ein aktuelles Thema, bei du dich nicht entscheiden kannst. Oder es gibt einen anderen Bereich der Ungewissheit in deinem Leben. Versuche keine Lösung zu finden. Achte stattdessen darauf, wie es sich in deinem Körper, aber auch emotional anfühlt, einfach mit dieser Ungewissheit zu sitzen. Ganz ohne einen Gedanken an eine Lösung oder einem Ausmalen einer sich ergebenden Zukunft. Nur sitzen in … und mit dieser Ungewissheit. Und beobachte, welcher Zustand sich dann einstellt.

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