Präsenz – Mitten drin, anstatt nur dabei

Präsenz
Präsenz – Mitten drin anstatt nur dabei

Präsenz verbinden wir zuerst mit Anwesenheit und meinen körperlich anwesend. So wie beim Abhaken der Anwesenheitsliste in einer Sportgruppe oder bei einer Besprechung. „Müller?“ – „Anwesend.“ Präsenz umfasst deutlich mehr und entscheidet darüber, ob wir unser Leben überhaupt mitbekommen.

Präsenz – sich vollkommen auf eine Situation einlassen

Hast du dich schon einmal dabei ertappt, während einer Besprechung in Tagträumen zu versinken? Oder noch schlimmer: Wurdest du schon einmal aus deinen Tagträumen gerissen, weil jemand deinen Namen sagte? Und du wusstest überhaupt nicht, wieso er oder sie dich anspricht und wovon die Rede ist?

Oder vielleicht etwas weniger dramatisch: Du hast bestimmt schon oft erlebt, dass du einen Artikel gelesen hast und dich nach dem letzten Satz nicht erinnern konntest, was du da gerade gelesen hast? Das sind nur einige Beispiele dafür, was passieren kann, wenn du nicht vollkommen präsent bist.

Natürlich bist du häufig körperlich anwesend. Aber wirklich präsent zu sein heißt, sich vollkommen auf die gegenwärtige Situation einzulassen, unabhängig davon, ob du in einem Meeting bist, eine Mahlzeit zu dir nimmst oder ein Buch liest.

Basis für Achtsamkeit und Meditation

Präsenz ist dabei ebenfalls die Basis für Achtsamkeit und Meditation. Präsent zu sein heißt, den Menschen, Gegenständen und Gedanken, denen wir begegnen, Beachtung zu schenken, einen Raum öffnen und halten. Auf diese Weise aufmerksam zu sein, ist entscheidend, um Konzentration und Gewahrsein, die wesentlichen Aspekte von Achtsamkeit, zu steuern. Und sie ist der entscheidende Faktor für mentale Effektivität.

Das Geschenk des Hier und Jetzt

Das Wort „Präsenz“ oder „präsent“ hat verschiedene Bedeutungen. Es steht für die Gegenwart, also das Jetzt. Es bedeutet Anwesenheit, also das Hier. Im Englischen bedeutet present außerdem „Geschenk“. Wenn wir für andere präsent sind, verkörpern wir alle drei Aspekte: Wir sind jetzt ganz hier und schenken unserem Gegenüber, einer Tätigkeit oder auch uns selbst unsere volle Aufmerksamkeit.

Zwei Minuten, die wir mit jemandem verbringen, der vollkommen präsent ist, sind wirkungsvoller, als zehn Minute mit jemandem zusammen zu sein, der abgelenkt und in seinen Gedanken irgendwo sonst unterwegs ist.

Die Vergangenheit ist vorbei. Die Zukunft hat noch nicht begonnen. Dennoch bewegen sich unsere Gedanken unentwegt zwischen Vergangenheit und Zukunft hin und her. Wir alle haben mehr als nur gelegentlich Schwierigkeiten, im Hier und Jetzt anwesend zu sein.

Jeder und alles ziehen an der Aufmerksamkeit

Aus der Präsenz immer wieder heraus zu fallen wird einerseits durch die vielen Anforderungen hervorgerufen, die an unsere Zeit und Aufmerksamkeit gestellt werden und in den letzten zwei Jahrzehnten explosionsartig gestiegen sind.

Und andererseits dadurch, dass unsere Aufmerksamkeit das ist, was alle andere von uns haben möchten. Der Chef, die Mitarbeiter und Kollegen, der Partner, Kinder, die Werbeindustrie, politische Parteien, die Posts in den sozialen Medien. Alles schreit nach und zerrt an unserer Aufmerksamkeit.

Aufmerksamkeit – und damit verbunden die Präsenz – ist ein knappes und wertvolles Gut geworden. Manche sprechen gar von einer Aufmerksamkeits-Ökonomie. Und dabei ist es um die persönliche Aufmerksamkeit immer schlechter bestellt. Es gibt alarmierende Studien, die sehen unsere Aufmerksamkeitsfähigkeit auf dem Niveau eines Goldfischs.

Erschreckt dich das? Das wäre nicht das Schlechteste … dann hätte ich damit jetzt deine Aufmerksamkeit hier her gezogen. Du erkennst die Mechanismen, wie das funktioniert …?!

Wahnsinnig und unter den Möglichkeiten

Wenn unser Verstand durch das Gezerre an unserer Aufmerksamkeit mit Lärm im weitesten Sinne angefüllt ist, verliert unser Gehirn die Fähigkeit, vollkommen präsent zu sein. Aufgrund zahlreicher Ablenkungen in unserem Leben, innerlichen wie äußerlichen, ist der Umgang mit der Aufmerksamkeit in der Arbeitswelt wie im privaten Bereich schon wie eine Epidemie.

Sie verursacht unendlich viele Schwierigkeiten bei der Bewältigung des beruflichen Alltags und in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Das spiegelt sich wieder in Themen wie Zeitmanagement, Organisation, Priorisierung von Aufgaben oder der Sprachlosigkeit in Beziehungen.

Ein amerikanischer Psychologe drückte das so aus, dass uns unser Umgang mit der Aufmerksamkeit zu „Wahnsinnigen verwandelt, die unter ihren Möglichkeiten bleiben“.

Das Karussell im Kopf

Aus neurologischer Sicht fahren die Leute in ihrem Gehirn permanent Karussell. Und dieser Vergleich ist durchaus nicht nur bildhaft zu verstehen.

Wenn wir präsent sind, ist im Gehirn der vordere Bereich (unser präfrontaler Kortex oder Stirnlappen) besonders aktiv. Sobald der Verstand aber abschweift, verlagert sich die Aktivität zum hinteren Bereich und zu den Seiten des Gehirns (Temporallappen und cingulären Cortex) und noch einigen anderen Regionen. In dem Moment, in dem wir uns des Abschweifens bewusst werden – ein ganz wichtiger und wertvoller Moment in der Meditation –, werden dann Bereiche tief im Inneren des Gehirns (Insula und cingulärer Kortex) aktiviert.

Sobald wir unsere Aufmerksamkeit wieder in den gegenwärtigen Moment zurückführen – in der Meditation ist das der Moment, wo wir wieder bei unserem Atem sind –, wird ein weiterer seitlicher Bereich (der sogenannte Parietallappen) getriggert und die Hirnaktivität bewegt sich wieder zum Ausgangspunkt im vorderen Gehirnbereich zurück.

Gehirnanatomisch läuft die Aufmerksamkeit quasi im Kreis, wenn sie sich von Gegenwärtigkeit zu Abschweifungen und zurück zur Präsenz bewegt. So geschieht es wieder und wieder, tagein und tagaus. Angetrieben von internen und externen Ablenkungen fahren wir Karussell.

Unterschätze niemals die Macht der Präsenz

Wir müssen nicht zwangsläufig internen oder externen Ablenkungen nachgeben. Wir können etwas dagegen unternehmen. Anstatt darauf zu hoffen, dass unser neuronales Karussell gerade dann präsent ist, wenn wir mit anderen Menschen zusammen sind, sollten wir uns – aktiv und bewusst – dafür entscheiden, vollständig präsent zu sein, wenn wir uns bestimmten Aufgaben widmen und wenn wir konkreten Herausforderungen gegenüberstehen.

Dir wird dieser Hinweis, dies Aufforderung als „mentale Strategie“ zu selbstverständlich oder allzu simpel erscheinen. Das ist es keinesfalls. „Unterschätze niemals die Macht der Präsenz.“ Was sich wie ein Satz eines Jedi aus einem Star Wars Film anhört, ist sehr ernst und real gemeint.

Präsent zu sein hilft dir, bewusst zu entscheiden, mit was du dich beschäftigst und wie du dein Leben führst. Es hilft dir, du selbst in deiner besten Verfassung zu sein.

Um im Moment gegenwärtig zu sein, ist es nicht erforderlich, das, was du tust, zu ändern. Es ist erforderlich, aufmerksam dafür zu sein, wie du die Dinge tust, die du tust. Es ist eine bewusste Entscheidung im Hier und Jetzt präsent zu sein. Es gibt nur das Jetzt. Eine andere Zeit existiert nicht – keine Vergangenheit oder Zukunft. Die einzige Zeit, in der du irgendetwas erledigen kannst, wirksam sein kannst, ist Jetzt, in diesem Moment, in diesem Augenblick.

Achtsamkeit und Meditation – Der Weg zu Präsenz

Achtsamkeit und Meditation sind die besten Wege, um die eigene Präsenzfähigkeit zu entwickeln. Indem du dir einatmend bewusst wirst, dass du einatmest, und ausatmend bewusst wirst, dass du ausatmest, verschaltest du dein Gehirn auf neue Weise und lernst, Moment für Moment aufmerksam zu sein.

Sei ganz präsent bei deinem Atemzug, atmen ein, ohne über den vorherigen Atemzug nachzudenken oder über den nächsten oder über die letzte Ablenkung. Achtsamkeit und Meditation heißt nicht, zehn Minuten lang andauernd präsent zu sein. Achtsamkeit und Meditation heißt, jeden einzelnen Atemzug bewusst wahrzunehmen für zehn Minuten oder mehr. Das ist ein großer Unterschied.

Präsenz ist der Weg … nicht das Ziel

Viele haben den Ehrgeiz einen bestimmten geistigen Zustand während des Achtsamkeits-Trainings oder während der Meditation zu erlangen. Doch in dem Augenblick, in dem wir eine bestimmte Vorstellung davon haben, wie wir sein sollten, in welchem Zustand wir sein sollten, haben wir das Ziel bereits verfehlt. Denn wenn wir mental in der Zukunft sind, gibt es keinen Weg in der Gegenwart präsent zu sein. Präsent zu sein ist schon der Weg.

Wenn du dich auf das Ziel fixierst, verpasst du den Moment. Wenn du dich auf den Weg konzentrierst, hast du das Ziel erreicht.

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