Nicht-Tun ist eine Kunst

Nicht tun
Nicht tun ist eine Kunst

Nicht tun ist eine Kunst

Nicht-Tun und Nichts-Tun unterscheiden sich nicht nur durch das “s”. Nicht-Tun und Nichts-Tun sind etwas vollkommen Unterschiedliches. „Meditieren, da sitzen und nichts tun, das könnte ich nicht“ ist eine Aussage, die ich oft höre. Schade eigentlich, denke ich dann. Schade, dass viele in dieser Vorstellung gefangen sind und wie anders ein Nicht-Tun ist. Und was beim Nicht-Tun dann „passiert“.

Eine Zeit lang Nicht-Tun

„Wenn Du Dich zum Meditieren hinsetzt, auch wenn Du es nur für einen kurzen Augenblick tust, so ist das eine Zeit des Nicht-Tuns. Es ist sehr wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass dieses Nicht-Tun nicht gleichbedeutend mit Nichts-Tun ist. Es könnte keinen größeren Unterschied geben.“
Jon Kabat-Zinn

Die Übung des Nicht-Tun

Die Grundlagen dessen, was Jon Kabat-Zinn hier als die Übung des Nicht-Tun bezeichnet, liegen in dem aus dem Taoismus stammenden Begriff des »Wu Wei«, das »bemühungslose Bemühen«. Im Westen führt der Begriff des Nicht-Tun häufig zu Missverständnissen, denn er wird umgehend mit Passivität assoziiert und erweckt die Sorge in uns, dass wir nicht mehr handeln oder reagieren dürften. Wir sind von unserer Kultur so konditioniert worden, dass wir meinen, wir müssten ständig aktiv sein.

Ständige Aktivität und die Hoffnung auf ein erfülltes Leben

Wir glauben, je mehr wir tun, desto mehr könnten wir erreichen. Immer haben wir ein Ziel vor Augen, immer streben wir danach, noch besser zu werden, indem wir noch mehr tun. Es ist uns fast unmöglich geworden, etwas einfach nur wahrzunehmen, ohne es sofort zu kategorisieren, zu bewerten und darauf zu reagieren. Der Genuss und die reine Freude des Nicht-Tuns scheinen uns in einer Gesellschaft, die so viel Wert auf Aktivität und Fortschritt legt, verloren gegangen zu sein. Selbst in unserer Freizeit laufen wir zur geschäftigen Höchstform auf und erhoffen uns dadurch ein erfülltes Leben.

Nicht Tun … sondern Sein

Wir haben es förmlich verlernt, in einem Zustand des Nicht-Tuns einfach zu sein. Frage Dich einmal selbst: Wann hast Du zum letzten Mal auf einer Bank gesessen, ganz ohne Buch und Zeitung oder – falls das über noch vorstellbar ist – ohne den Blick auf das Smartphone, und hast einfach nur in die Sonne geblinzelt? Wann warst Du mit einem Menschen ruhig und absichtslos zusammengesessen, einfach nur, um in seiner Gegenwart zu sein?

Wie wäre es, wenn wir inmitten all unserer Geschäftigkeit einmal ganz bewusst die Hände von den Steuerrädern und Kontrollknöpfenm, die Füße vom Gas nehmen würden? Wenn wir unser rastloses Gerenne für einige Minuten einstellen und stattdessen einmal bewusst beobachten würden, was in uns geschieht? Wenn wir uns eine kurze Auszeit nehmen würden, in der wir uns auskoppeln und uns nicht auf ein Ziel hin bewegen? Einfach aufhören würden zu fragen, was wir als Nächstes tun werden. Was passiert dann? Nichts? Wirklich?

Zur Blüte kommen

Weshalb sitzt du hier rum? Hast du nichts zu tun?“ Das sind Fragen, die Menschen gerne stellen, die selbst nicht meditieren. Einer Gesellschaft der Macher und Aktiven ist das Nicht-Tun verständlicherweise suspekt.

Ein Mann setze vor einigen Jahren Blumenzwiebeln in seinem Garten. Als er mit der Arbeit fertig war, sagte er: „Es wird sicherlich ein paar Jahre dauern, bis wir die Blumen sehen werden.“ Seine Frau erinnerte sich noch gut an die Ungeduld, die sie dabei bei sich spürte. Ihr Mann hingegen behielt seine ruhige Zuversicht und düngte und wässerte in den kommenden Jahren geduldig die Erde. Als seine Frau ihn einmal fragte, ob er denn wirklich glaube, dass diese Blumenzwiebeln eines Tages blühen würden, sagte er lachend: „Wissen kann ich es nicht. Doch ich vertraue darauf. Schließlich liegt es in ihrer Natur, zu blühen.“

Das Potenzial ist immer da

Das ist es, was wir auch im Nicht-Tun erfahren. Wir sind wie diese Blumenzwiebeln, die in die Erde gepflanzt wurden. Sie fragen nicht danach, was ihre wahre Natur ist. Doch wenn es an der Zeit ist, dann brechen sie durch die Erde hindurch und beginnen zu blühen. Und wenn es noch nicht an der Zeit dafür ist, dann ruhen sie in der Erde. Das Potenzial zum Blühen ist aber immer da. Wachstum geschieht, wenn wir denken, dass im Leben gerade nichts passiert.

Indem wir Achtsamkeit oder Meditation praktizieren, gestatten wir es unserem inneren und bislang verborgenen Wissen zur lebendigen Erfahrung zu werden. Wir beginnen zu blühen. Manchmal erleben wir dieses Gefühl des Blühens ganz spontan: beim Anblick eines Sonnenuntergangs oder der Kraniche, die über den Himmel ziehen, in der Gegenwart eines neugeborenen Kindes oder einer jungen, spielenden Katze.

Das sind die Momente, in denen wir Achtsamkeit (er-)leben. Wir sind präsent in dem Moment, so wie er ist. Es ist wie Ankommen. Ein tiefes Gefühl von Erfüllung, das unabhängig von äußeren Gegebenheiten existiert. Wir spüren: Wie es ist, ist es. Wie es ist, ist es genug. Wie es ist, ist es vollkommen.

Das alles ist so viel mehr als nichts tun.

Quelle: Linda Lehrhaupt, Die  Wellen des Lebens reiten, eigene Ergänzungen

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